Nizolius.
Marius Nizolius stammt aus Brescello in der Provinz Reggio d'Emilia.^) Als Geburtsjahr wird allgemein das Jahr 1498 und als Todesjahr 1576 angegeben. Indes ist diese Be- rechnung nach der Untersuchung Batistellas auf Grund in- schriftlicher Argumentation um ein Dezennium zu spät ange- setzt. Demzufolge lebte Nizolius in der Zeit von 1488 bis 1566.2) Ueber seine ersten Lebensjahre und Studien ist nichts bekannt. Im Jahre 1522 finden wir ihn am Hofe des Grafen Gambarra, eines eifrigen Beschützers und Pflegers der Wissenschaften. Ihm widmete auch Nizolius seine erste, im Jahre 1535 abgefasste Schrift, die Observa- tiones in M. Tullium Ciceronem". Nachdem er eine lange Zeit als Hauslehrer in der gräflichen Familie tätig gewesen, kam er im Jahre 1547 als Professor an die Universität zu Parma. Im Jahre 1562 wurde er, bereits 74 Jahre alt, als Leiter an die von dem Herzog Vespasiano Gonzaga neu- errichtete Universität zu Sabbioneta berufen. Nizolius war damals ein weithin berühmter Gelehrter : „un vecehio consu- raato negli studi delP eloquenza e della filosofia, chiaro per molte opere, vittorioso neue concertazioni letterarie e per lungo usu di leggere suUe cattedre delle cittä piü cospicue praticissimo . . ., di cui la memoria nei fasti dell' italica letteratura, non perirä giammai."^) Altersschwäche und ein sich immer mehr verschlimmerndes Augenleiden hemmten den Greis gewaltig in dem schweren Berufe, den er auf sich geladen hatte. Schon nach 4 Jahren (1566) ereilte ihn der Tod, ob zu Sabbioneta, oder in seiner Heimat Brescello, lässt sich nicht bestimmen.*) 1) Vergl. Jöcher, Gelehrtenlexicon sub Nizolio III. 962 xl V. 760—61 (Suppl.), der sehr ung'enau ist. Ausführl. biographische Notizen bringt Ruggero Batistella : Mario Nizolio op. cit. '61 ff. 2) Batist 31. 3) Bat. 36. 4) Bat. 33. — 29 — Die Tätigkeit des Nizolius erstreckte sich zunächst nur auf das Gebiet der klassischen Sprachen. Er beschäftigte sich mit der Interpretation griechischer und lateinischer Autoren, vor allem des Cicero. i) Mit rastlosem Fleiss ver- band er einen kritischen und vor allem natürlichen Sinn. 2) Aus dem letzterem Umstand erklärt sich auch wohl der realistische Standpunkt, den er in philosophischer Hin- sicht verfocht. Zu eigentlich philosophischen Spekula- tionen kam Nizolius erst spät und zwar durch einen mehr äusseren Umstand. Während seines Aufenhaltes zu Parma geriet er in einen heftigen Streit mit Marco Antonio Majoragio, Professorder Eloquenz an der Universität zu Mailand.^) Es handelte sich in der Hauptsache um zwei Fragen : Lateinischer Stil und Philosophie, Cicero und Aristoteles. Majoragio war wie Nizolius ein grosser Verehrer Ciceros, jedoch zog er der eklektischen Philosophie desselben die reine Lehre des Aristo- teles vor und vertrat die Ansicht, dass man die Philosophie Ciceros mit der des Aristoteles in Einklang bringen könne. Nizolius dagegen strebte dahin, den Aristoteles für immer zu verbannen, indem er mit Ueberzeugung den Standpunkt von der falschen und unnützlichen aristotelischen Doktrin vertrat.*) Diesem Streit, der auf beiden Seitem unerbittlich und un- würdig geführt wurde, machte schliesslich der Tod Majo- ragios (1555) ein Ende.^) 1) Bat. 37 ff. Le opere ei giudizi dei eritici. 2) Bat. 1. c. 37. 3) Bat. La polemica con M. Antonio Majoragio 33 ff. vergl. femer Gerh. Phil. IV. 135 und Nizolius in seiner Vorrede zum An- tibarbarus : Ad Lectores contra Majoragium. 4) Bat. 34. 5) Bat 35. Nizolius soll in zehn Jahren nicht recht haben schlafen können ! (Jöcher a. a, 0.) ,,nou solum calamo et chartis ve- nenatisimis, sed etiam putrido et foetenti illo ore suo contra vitam et mores nostros usque in hunc diem deblateravit et deblaterat" (Nizolius ad lectores in De veris principiis). „ipse (Maj.) qui licet, de magnis et obscuris Philosophiae rebus loqui conetur, tarnen vere est acocfoc, et tantum seit de Philosophia, quantum asinus de Musica" (Vorrede). — 30 - Majoraj^io hatte auf die Angriffe des Nizolius eine ,,Apologia" erscheinen lassen, die Nizolius mit einer ,,Anti- apologia" erwiderte. Es folgte nun seitens Majoragios „Re- prehensionum libri duo contra M. Nizoliura", worauf Nizolius mit seinem Antibarbarus Philosophicus antwortete. Seine AngriflFe fasste Nizolius dann noch einmal zusammen in seiner Schrift : De veris principiis et vera ratione philosophandi contra Pseudophilosophos In der Hauptsache war Nizolius mehr gelehrter Hu- manist als philosophischer Denker oder Kenner der älteren Philosophie. Sein Eifer für die Beförderung der klassischen Latinität veranlasste ihn zur Abfassung einer Reihe von Werken, die uns ein Bild geben von seiner bewunderungs- würdigen Arbeitskraft. Nur die wichtigsten seien genannt. i) Als sein Hauptwerk ist wohl anzusehen ein Thesaurus sive Latinae linguae Lexicon, das, wie auch die meisten der anderen Werke, zahlreiche Neuauflagen erlebte. Das ge- nannte Werk war bereits 1535 unter dem Titel Observa- tiones in M. TuUium Ciceronem, dann als Apparatus latinae locutionis und endlich als Thesaurus Ciceronianus in Vene- dig 1538 und 1551, und erweitert von Basilio Zanchi 1570 gedruckt wonien, 1613 erschien es zu Frankfurt und 1734 zu Padua mit beigedruckten Ciceronianischen Phrasen, die nicht von Nizolius stammen. 2) Ausserdem verfasste er die bereits erwähnte ,,Antiapo- logia pro M. Tullio Cicerone et Oratoribus" contra M. An- tonium Majoragium Ciceromastigen'', ferner ,,Defensiones locorum aliquot Ciceronis contra disquisitiones Coelii Calcag- nini" (Venedig 1557) und übersetzte aus dem Griechischen ins Lateinische „Galeni explanatio obsoletarum vocum Hippocratis*. In das Jahr 1553 fällt die Herausgabe des Werkes, welches das vollständige philosophische System des Nizolius enthält und mit vollem Titel lautet : De veris prin- cipiis et vera ratione philosophandi contra Pseudophilosophos libri IV, in quibus statuuntur ferme omnia vera verarum ar- 1) Bat. 37 ff. 2) Bat. 3a — 31 — tium et scientiarura principia, refutatis et rejectis prope Om- nibus Dialecticorum et Metaphysicorura principiis falsis, et praeterea refutantur fere omnes Marci Antonii Majoragii ob- jectationes contra eundem Nizoliura usque in hanc diem editae. Parmae apud Septimium Viottum 1553 in 4to.^) Schon die Titel der Werke beweisen, dass die Tätig- keit des Nizolius eine mehr philologische als philosophische gewesen ist. In der ersteren Eigenschaft hat er daher auch stets warme Anerkennung gefunden. Caelius Secundus, ein späterer Herausgeber seiner Observationes, nennt ihn im Prooemium einen gelehrten Mann, der sich unstreitiges Verdienst um die lateinische Sprache erworben: Nizolius quasi Deus aliquis linguae Latinae tanquam universitatem quandam fabricatus est, quam postea hominibus non solum ntendam, verum etiam excolendam tradidit Aehnlich äussert sich Simon Grynacus in der Vorrede zum Thesaurus Ciceronia- nus des Nizolius : Videtur hie vir in hoc uuo opere, post- quam delectum Latinae dictionis, ne promiscue hauriremus, puritatemve linguae confunderemus, optimum egit, simul et viam loquendi certam posthac et expeditam monstrasse et vim ac copiam sermonis Latii totius omnem effudisse et Ciceronis libros nunc deum legendos omnibus exhibuisse. Einer seiner Verehrer H. Fröhlich besingt das Lob des italienischen Humanisten begeistert in dem Ruhmespoem : ,, Nizolius quem thesaurum congessit in unum, ,,Ex Latiae linguae fönte, labore gravi: ,,Tro)anas longe gazas superare memento, jjFortunas Crassi, divitiasque Midae." Für die Philosophie ist Nizolius hauptsächlich von Be- deutung, weil er der einzige Grammatiker ist, der Schule ge- macht hat in der Philosophie und ferner als erster unter den „filosofi razionali" in Italien ausführhch gehandelt hat Ton der ,,Dottrina metodica".^) Um indes den Philosophen Nizolius ganz nach Verdienst würdigen zu können, muss man die Zeit, in der er lebte, in Rechnung ziehen. 1) G. IV^. 136. Bat. 39. Daselbst auch die übrigen kleineren Schriften. 2) Siehe Bat 41. - 32 - Die Renaissance ist in philosophischer Hinsicht charak- terisiert durch die grosse Armut selbständiger philosophischer Spekulation und durch vorläufiges Fortwuchern der schola- stischen Philosophie. Daneben kommen als positive Momente einerseits die Erneuerung antiker Systeme — vor allem ein von den humanistischen Philologen in engster Anlehnung an Cicero gezüchteter Eklekticismus — andererseits eine mit der letzten Erscheinung eng zusammenhängende rhetorische Be- handlung der Philosophie, speziell der Logik in Betracht. Die neologischen Humanisten mussten den Schriften Ciceros wegen der Schönheit ihrer sprachlichen Form gegenüber dem ent- stellten und verwilderten Aristotelismus der spätscholastischen Philosophie mit ihrer dunklen und vielfach sinnlosen Diktion den Vorzug geben. Daher sehen wir alle „Philosophen"^ der Renaissance in dem Streben, durch Beseitigung der sinn- losen Auswüchse den reinen und ursprünglichen Aristoteles für den literarischen Betrieb der Logik wiederherzustellen und schliesslich die logische Disziplin zu einer rhetorischen umzugestalten, einig gehen. Galt der Scholastik Aristoteles^ der philosophus xat' l^o-/'»]v, als Norm in jeder strittigen Sache, so bekämpfen die Humanisten, wie jeden Autoritätsglauben, 80 vor allem die Ausschliesslichkeit, mit welcher man über- haupt nur dem Aristoteles, den man noch dazu in entstellter Form in Händen habe, Wert beilege. Als Massstab und Norm will man vielmehr den eigenen gesunden Menschen- verstand und die fünf Sinne gelten lassen. Und in diesem Ge- sichtspunkte haben wir die Brücke zu der sensualistisch-no- minalistischen Tendenz, die gleichfalls mehr oder weniger die Philosophen der Renaissance insgesamt beherrscht. Neben dem Italiener Nizolius kommen hier als bedeu- tende Vertreter der Renaissance-Philosophie in Betracht der Römer Laurentius Valla, der Deutsche Rudolph Agri- cola und der Spanier Ludovicus Vives. Nizolius bringt die Bestrebungen seiner Vorgänger zu einem gewissen systematischen Abschluss, sich grösstenteils an sie anschliessend, vielfach dieselben aber auch kri- tisierend. - 33 — Von seinen Werken mass er selbst dem Antibarbarus Philosophicus die Hauptbedeutung zu, da er in ihm eine Re- formatio Philosophiae bewirkt zu haben meinte. Aber den- noch erntete er gerade durch seinen Index Ciceronianus seine Berühmtheit, während seine Philosophie schon beim Entstehen kaum dem „Ersticken" entging: „Philosophia Nizo- liana prope in ipso partu suffocationem aegre effugit."^) Das Geschick des „in tenui labor, at tenuis non gloria" bei Nizo- lius begründet Leibniz^) durch den Umstand, dass Nizolius in Italien schrieb, wo damals Aristoteles und die Scholastiker in allzu tyrannischer Weise herrschten. Leibniz ist der Ansicht, dass nunmehr seine Zeit, wo man wenigstens zugebe, dass auch ein Aristoteles irren könne, auch den Verdiensten eines Nizolius gerecht werden könne. ^) Welche Wertschätzung Leibniz selbst dem italienischen Philosophen entgegenbrachte, beweisen ausser der von ihm besorgten zweimaligen Herausgabe des Antibarbarus die zahlreichen Anmerkungen, die er in den Text hineinsetzte, sowie die Abhandlungen, die er im Anschluss an die Edition des Nizolischen Werkes erscheinen liess. Unter ihnen ist die ausführlichste und wichtigste die sogenannte Disser- tation über den philosophischen Stil: Dissertatio Prae- liminaris de alienorum operum editione, de Philosophica dicti- one, de lapsibus Nizolii, wie Leibniz sie betitelt. Er schickte dieselbe nebst einer Widmung an den Baron von Boineburg, ausserdem einen Brief an Thomasius „über die Versöhnung des Aristoteles mit der neuen Philosophie" — De Aristotele recentioribus reconciliabili — sowie Exzerpte aus Briefen des Thomasius ad Editorem (Leibniz) der eigentlichen Ab- handlung des Nizolius voraus. 1) G. IV. 134 f. 2) Q. IV. 137. 3) „vel hoc saltem in confesso est, Aristotelem errare posse" (G. a. a. 0). Renhissanoe and Philosophie, Heft V. - 34 - b) Leibniz' üebereinstiramung mit Nizolius. a) Die philosophische Diktion. Gerade die Schrift des Nizolius musste Leibniz beson- ders anziehen; war doch desselben Massstab in der Beur- teilung und Behandlung fremder Autoren derjenigen unseres Leibniz so durchaus ähnlich. „Auch Nizolius knüpfte an die Scholastik, die Alten — vor allem Aristoteles — an, übernahm das viele Gute , das sich bei ihnen fand und besserte und reinigte, wo es ihm gut und notwendig schien" ^). In dieser Behandlungsweise fremder Autoren sieht Leibniz ein Hauptverdienst des Nizolius; er hält ihn daher den Philosophen seiner Zeit entgegen 2), die nur darauf be- dacht seien, sich ausschliesslich mit ihren eigenen Gedanken- erfindungen zu befassen. Ein gleiches Mass von Uebereinstimmung mit Nizolius bekundet Leibniz in der Beurteilung oder vielmehr Verur- teilung der Scholastik. Mit Recht musste seiner Ansicht nach Nizolius nach dem Studium des stofflich vielseitigen und stilistisch glänzenden Cicero die scholastische Behand- lungsweise, „die mit ihren Finsternissen und ihrem geringen Gehalt an Nützlichem irgendwelcher Art jeglicher elegantia entbehrte", verachten. Zwar sucht Leibniz, die Scholastiker in Schutz nehmend, ihre Fehler und Schwächen zu ent- schuldigen mit den damaligen ungünstigen Zeitverhältnissen. Welchen Wert er aber im Innersten seines Herzens der Scholastik beimisst, beweisen die zornigen Vorwürfe, die er denen macht, ,,die noch jetzt, nachdem die Früchte gefun- den, lieber die Eicheln essen wollen und mehr sich versün- digen durch ihren Eigensinn als durch Unwissenheit."') Ihnen 1) Gerh. IV. 135. Ritter 446. 2) G. IV. 151 vgl. auch 135. 3) G. IV. 156. 157. — 35 — hält er entgegen den unvergleichlichen Verulamius und die übrigen ausgezeichneten Männer unter den Neueren, die die Philosophie „ex aereis divagationibus aut etiam spatio ima- ginario ad terram hanc nostram et usum vitae revocave- runt"i). Im Zeitalter der Erneuerung der Wissenschaften, so behauptet Leibniz^), hat es viele Gelehrte gegeben, die gegen die barbarische Diktion der Vulgärphilosophen zu Felde zogen, aber es war bei ihnen mehr ein ,,Carpere" als ein „Emendare". Die einen jammerten, andere mahnten und gaben Ratschläge, wieder andere donnerten gegen die scho- lastischen Philosophen und nannten sich im Gegensatz zu ihnen ,, Reales", aber sie unterliessen es, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Da sei es nun Nizolius gewesen, der mit Eifer und Fleiss und, wenn man ihn läse, mit solcher ,,efficacia" wie kein anderer Schriftsteller sich wirklich damit befasst habe, den Boden der Philosophie von jenen „spinae verborum'' von Grund aus zu säubern. Er verdiene es daher als ,,exem- plum dictionis philosophicae reformatae" und zwar, soweit es für die Logik, das Vestibulum Philosophiae, gelte, angesehen zu werden. Leibniz knüpft hieran den Wunsch, dass in seiner an Talenten so reichen Zeit sich Männer fin- den möchten, das Werk des Nizolius für die übrigen Teile der Philosophie fortzusetzen. Er selbst würde, wie er hinzu- fügt, sich dieser Aufgabe unterziehen, wenn er sich nicht teils durch andere Studien daran verhindert sähe, teils aber fürchten müsse, anderen, die dieselbe Sache besser leisten möchten, vorzugreifen. Diese Einwendungen halten ihn jedoch nicht ab, auf die Nizolianischen Erörterungen wenigstens im allgemeinen einzugehen und ihnen Neues hinzuzufügen. Rühmend hebt 1) G, IV. 193. Ueber das Verhältnis Leibnizens zur Scho- lastik siehe: Josef Jasper, „Leibniz und die Scholastik* Leipzig- 1898/99, ferner Rintelen „Leibnizens Beziehungren zur Scholastik" München 1903, besonders pg. 4 ff. 2) G. IV. 151. — 3« — Leibniz hervor, wie Nizolius überall nicht nur fordere, son- dern auch selbst in Anwendung bringe eine ,,dicendi ratio naturalis et propria, simplex et perspicua, et ab omni de- torsione et fuco libera, et facilis et popularis et e media sumta, et congrua rebus, et luce sua juvans potius memo- riam quam Judicium inani acumine confundens". ^) Nizolius stellt fünf allgemeine Prinzipien des rechten Philosophierens auf 2), die aber, wie Leibniz bemerkt, mehr auf die Rede als auf das Denken Bezug nehmen. Als erste Bedingung fordert er die Kenntnis des Griechischen und des Lateinischen, als zweites das Vertrautsein mit den Vor- schriften und Lehren, die sich bei den Grammatikern und Rhetoren finden, ferner drittens eine umfassende und an- dauernde Lektüre der besten griechischen und lateinischen Au- toren und die Kenntnis des allgemeinen Sprachgebrauchs so- wohl, soweit es die obigen betriflft, als auch des Volkes, das nach Horaz die Gewalt und Bestimmung hat über die Norm der Redeweise. 3) Ein viertes Prinzip ist die Freiheit und wahre Willkür im Denken und Urteilen über alle Dinge. Jeder, der richtig philosophieren will, darf keiner bestimmten philosophischen Sekte anhängen, sondern soll vielmehr seinen eigenen fünf Sinnen, seiner Intelligenz und der Erfahrung als seinen alleinigen Lehrern und Autoritäten folgen. End- lich fordert Nizolius als letzte und fünfte Bedingung, dass man nicht abweiche von der gewöhnlichen und bei allen 1) G. IV. 138. 2) N. 1. I. C. I. p^. 6. 3) Siehe auch N. II. IL pg'. 126 „nemini fas est, ut Graeci dieunt, ovofAaxoTto-.sIv, hoc est. nova nornina tingere, nisi populo Atque ideo Dialectici non recte faciunt sed maximum committunt Vitium, qui primum impudenter et barbare nominant res a se non inventas et ab aliis ante nominatas, ut exempli gratia, quae Gram- niatici et Oratores jam inde a principio vocaverunt nomina, verba, adjectiva, substantiva, supposita, apposita, propositiones, assump- tiones et pluriina alia huiusmodi, ipsi praetermissis et rejectis pe- nitus nominibus antiquis et rectis. appellant terminos, copulas, i'oncreta, abstracta, subjecta, praedicata, maiores, luinores et alia id genus sexcenta". - 37 - Gelehrten üblichen Redeweise, nicht za kurz oder dunkel schreibe oder lese, keine ,,quaestione3 inconsistentes", nichts Paradoxes oder Ungebräuchliches oder Neues in die Philo- sophie einführe, falls letzteres nicht unbedingt nötig ist. Besonderen Nachdruck legt Nizolius darauf, dass ja nicht die „mos scribendi et loquendi a populi ac vulgarium lo- <juendi consuetudine" abweiche. Den Verstoss gegen diese Hauptregel rügt er im Verlaufe seines ganzen Werkes immer wieder bei den Dialektikern und Pseudophilosophen, deren Redeweise er bald als ,, falsa et commentitia", bald als ^jObscura, ambigua, abstrusa und monstrosa vel barbara" bezeichnet. Leibniz rechnet die Regeln über die philosophische Redeweise zur Logik. Er unterscheidet also in der Logik Äwei Teile, die Logica verbalis und die Logica realis. Der erste Teil handelt vom Gebrauch der Worte, der andere von der Leitung der Gedanken; „unam de claro distincto et proprio verborum usu, seu de stilo philosophico, alteram de regendis cogitationibus." i) Als Kardinaltugenden der Rede (philosophischen Diktion) gelten Leibniz 2) im allgemeinen drei, nämlich Klarheit, Wahrheit und eine gewählte Darstellung (elegantia), die er folgendermassen definiert: Clara est oratio cuius om- nium vocabulorum significationes notae sunt tantum attendenti, Vera, cuius significatum sentiente et medio recte disposito sentietur, Elegans est oratio, quae auditu lectuve jucunda est. Von der elegantia kann man bei der philosophischen Diktion absehen. Mit der Forderung der Wahrheit geht Leibniz über Nizolius hinaus ; die von ihr gegebene Definition hält er für die „wahrste" von allen, die bis dahin aufgestellt worden seien. Die Certitudo definiert er als claritas veritatis. Schon aus der certitudo, welche die philosophische Rede verlange inbezug auf ihre Materie, folge, dass die claritas und veritas Hauptbedingungen der oratio philosophica seien. 1) Erdmann, S. 66. 418—426. Schreiben an Gabriel Wagner. 2) G. IV. 138. — 38 — Aber oflFenbar ist auch, dass die Wahrheit eines Satzes^ nicht bekannt sein kann, wenn nicht die Bezeichnung der Worte bekannt ist, d. i. nach obiger Definition, wenn die Rede nicht klar ist. Die Ciaritas bezieht sich daher auf die Worte und ihre Konstruktion. An dieser Stelle betont Leib- niz, dass man sich technischer Ausdrücke, soweit es möglich und eine Weitschweifigkeit (prolixitas) ausgeschlossen sei, ganz und gar enthalten müsse. Den technischen Ausdrücken hafte immer eine gewisse Dunkelheit an, während die termini populäres als „termini e medio sumti" unter Beibehaltung ihrer gewöhnlichen Bedeutung die grösste Klarheit abgeben. Jedenfalls sei es durchaus richtig, dass es keine Sache gebe, die sich nicht erklären Hesse durch populäre Ausdrücke, wenn- gleich durch mehrere. Daher sei dem Nizolius recht zu geben, wenn er überall behaupte, dass das „pro nuUo, pro com- mentitio et inutili" zu erachten sei, dem nicht im gewöhn- lichen Sprachgebrauch wenigstens ein allgemeiner Ausdruck beigelegt sei. ^) Je populärer die Ausdrücke seien, desto deutlicher die Rede. Um aber einer Weitschweifigkeit zu begegnen, fordert Leibniz eine „compendiosissimam popularitatem vel popularis- simum compendium". Es ergibt sich also als Fundamentalregel für den philosophischen Stil: „Quandocumque termini populäres suppetunt aeque compendiosi, abstinendum est terminis Tech- nicis''. *) In Anbetracht dieser seiner Haupttendenz, der „re- ductio terminorum ad populäres" übertrifi't Nizolius nach dem Urteil Leibnizens einerseits weit seinen Zeitgenossen Ramus, der an die Stelle der aristotelischen neue technische Ausdrücke setzte und so nicht die Wissenschaft, wohl aber die Mühe bereicherte ; andrerseits lässt er sich mit den Männern der neueren Zeit, als da sind Hobbes, Cartesius, vergleichen, die von demselben Streben beseelt seien. ^) 1) V{?1. auch: ,Quicquid terminis popularibus explicari non potest, nisi immediato sensu constet (qualia sunt multa Genera colo- rum, odorum, saporum) esse nuUum et a philosophia velut piacu- lari quodam carmine arcendum". G. IV. 143. 2) G. IV. 145. .3) „authornostro tempore dignus est". G. IV. 138. - 39 - Das wirksamste Mittel zur Bekämpfung und Ver- drängung der scholastischen Redeweise erblickt Leibniz im Gebrauch der lebenden Sprachen. Interessant ist es zu hören, wie er gerade das Deutsche von allen Sprachen Europas hinstellt als die geeignetste für die Prüfung von Philosophemen, dagegen als ganz und gar ungeeignet, um Hirngespinste auszudrücken (,.ad commentitia exprimenda"). Eben der Umstand, dass die deutsche Sprache nicht vor der Philosophie als solcher, sondern vielmehr vor der ,, bar- barischen'* Philosophie zurückgeschreckt sei, deren ratio phi- losophandi erst spät hätte verdrängt werden können, gebe den Grund dafür ab, dass die Deutschen sich so spät mit der Philosophie befasst hätten. Die lateinische Phrase ist nach seiner Ansicht häufig ein Deckmantel der Unklarheit, sie ist Maske, nicht Ausdruck. So decke auch die scholastische Philosophie ihre Blossen mit der elenden Hülle ihres Latein. Der Gebrauch der Volkssprache aber biete ein „tentamen probatorium'' für die philosophischen Gedanken, ein ,,examen philosophandum'^^) Da sei gerade die deutsche Sprache sehr geeignet für rein wissenschaftliche Untersuchungen sowie zur Hervorbringung einer schönen Literatur; vornehmlich in der Philosophie sei ihr Wert nicht zu unterschätzen. 2) Den gleichen Gedanken spricht Leibniz aus in einer späteren Schrift, die sich betitelt „Unvorgreitiiche Gedanken betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache". 3) 1) Gerh. IV. 145. 2) „lUud tarnen asserere possim, huie tentamento probatorio atque examini philosophematum per linguam aliquam vivam nuUam esfie in Europa lingua Germanica aptiorem ; quia Germanica in realibus plenissima est et perfectissima, ad invidiam omniuin cae- terarum, quum artes reales et raechanicae a multis secuiis a niilla gente sint diligentius excultae, usque adeo ut ipsi Turcae in fodinis Graeciae et Asiae minoris vocabulis metallicis Germanorum utantur." (Gerb. IV. ibidem.) 3) ,,Wir Teutschen hätten einen sonderbaren Probierstein der Gedanken, der anderen unbekannt ; und wann sie dann begierig _gwesen, etwas davon zu wissen, so habe ich ihnen bedeutet, dass — 40 — Wenn nun Leibniz, der sich die Pflege der deutschen Sprache so sehr angelegen sein liess und selbst mit vollster Ueberzeugung auf ihre Förderung und Verbesserung hin- wirkte, andrerseits, von Briefen und einigen Schriften wie die obigen abgesehen, seine bedeutendsten Schriften in lateinischer oder französischer Sprache abgefasst hat, so gibt er hierfür eine hinreichende Begründung, wenn er sagt: „Ich hätte es lieber teutsch geschrieben, sonderlich weil die teutsche Sprache keine terminaisonen leidet, man wolte dann fremde worte ungescheut hineinflicken : allein es hätte der- gestalt dem ausländer nicht communicirt werden können."^) Ausserdem muss man, wie Leibniz weiter bemerkt'), beim Gebrauch der termini populäres wie auch der termini technici darauf bedacht sein, keine oder nur ganz wenige und dann nur passende Tropen in Anwendung zu bringen. Auch hierin fehlten die Scholastiker, deren Rede, wie er sagt, ,,tropis scatet". Man soll, so weit es eben geht, festhalten an dem Ursprung eines Wortes, besonders wenn derselbe sicher ist; denn die ursprüngliche Bedeutung eines Wortes ist seine wesentliche und ihm eigentümliche. ' Allerdings kann ein Wort seine ursprüngliche Bedeutung verloren und mit Hilfe von Tropen eine neue angenommen haben. In es unsere Sprache selbst sei; denn was sich darin ohne entlehnte und ungebräuchliche Worte vernehmlich sagen lasse, das seye würklich was Rechtschaffenes : aber leere Worte, da nichts hinter und gleichsam nur ein leichter Schaum müssiger Gedanken, nehme die reine Teutsche Sprache nicht an . . . sie ist ein Probierstein rechtschaff"ener guther Gedanken und hat darin einen grossen Vor- zug vor der lateinischen und ihren Tochtersprachen ; die gedanken, die man mit guthem reinen Teutsch geben kan, sind auch gründ- lich, was aber sich nicht in j^uth Teutsch geben lässt, besteht gemeiniglich in leeren worthen und gehöret zu der Scholastik", Leibniz's Deutsche Schriften von Dr. G. E. Guhrauer, Berlin 1840, L pg. 453 § 11. Vergleiche dazu auch die Einleitung pg. 440 ff, und die „Kritisch-Historische Einleitung" (besonders pg. 52 ff".). K. Fischer „Leibniz" pg. 65 ff, 1) Abhandlung vom freien Willen des Menschen und der göttlichen Vorsehung (Klopp I Einl.). Kroger 205. 2) G. IV. 148. — 41 — diesem Falle ist die letztere Bedeutung die eigentümliche, sobald sie so allgeraeingebräuchlich geworden, dass sie gerade so bekannt oder sogar geläufiger ist als die erste, ursprüngliche. Wenn Nizolius sich als geschworener Feind jeglicher Abstraktion erweist^), so i'olgt Leibniz auch hierin seinem Vorgänger. 2) Er stellt den Satz auf, dass man beim ge- nauen Philosophieren sich nur der Concreta bedienen dürfe. Denn es gelte sozusagen als Tatsache, dass gerade die Sucht im Ausdenken abstrakter Bezeichnungen, die man doch zur Genüge beim Philosophieren entbehren könne, die ganze Phi- losophie verdunkelt habe; denn die Concreta seien in Wahr- heit die res, nicht aber die Abstracta. Letztere seien viel- mehr die Modi rerum, die Modi aber wiederum nichts anderes als „Relationes ad intellectum". Bedenke man nun die „replicatio modorum in infinitum", ferner die ,,qualitate3 qualitatum" und „numeri numerorum", so würde sich, wollte man das alles als Dinge gelten lassen, nicht allein eine „infinitas" sondern auch eine „contradictio" ergeben. Denn wenn die Entitas ein Ens, die Realitas eine res, die aliqui- ditas ein aliquid wäre, so würde die ,, forma sui ipsius seu pars conceptus sui" identisch sein mit dem Inhalt. ,,Nie haben sich daher die termini abstracti beim strengen Philo- sophieren als besonders nützlich erwiesen, vielmehr als ganz und gar unbrauchbar und verderblich." ^^ An die Stelle von : „homo est rationalis" zu setzen : ,,homo habet rationalitatem" ist nach Leibnizens Ansicht nicht allein tropisch, sondern überhaupt überflüssig. ,,Wenn daher jemand die Elementa Philosophiae vollständig behandeln will, muss er sich der Ab- stracta gänzlich enthalten.^' 1) Siehe besonders N. III. VII. u. a. pg. '259 ,,illud dubium esse non poterit, quin omnis abstractio a Pseudophilosophis intro- ducta sive ea dialectica sit, sive physica, sive matheniatica, sive metaphysica, ut ipsi vocant, non modo falsa sit . . . sed etiam om- nino supervacanea, et nullam ad rem omnino necessaria'*. 2) G. IV. 14.7 ff. 3) G. ibidem. — 42 - ß) Nominalistische Bestrebungen. Verrät schon der Kampf Leibnizens und Nizolius' gegen die Abstracta nominalistische Tendenzen, so kommen solche vor allem zu Worte in dem Bekenntnis ihres erkenntnis- theoretischen Standpunktes. Nizolius bekennt sich ,,exserte" als Anhänger Occams und Noniinalist, d. i. zur Sekte derjenigen, die alles für blosse Namen halten ausser den Einzelsubstanzen und somit die Realität der Abstracta und Universalia aufheben. 0 Der Streit um die Uni vers alienfrage, d. i. der Frage über den Wert der Allgemeinbegriffe, der allgemeinen Form unseres geistigen Erkennens, die schon das Altertum ein- gehend beschäftigte und auch in der neuen Philosophie von grösster Bedeutung ist, hat wohl seine heftigste Form im Mittelalter angenommen. Man unterscheidet im allgemeinen zwei entgegengesetzte Lager, Realisten und Nominalisten, deren Systeme im einzeln wieder besonders modifiziert sind. Unter den Realisten behaupten die einen im Anschluss an die platonische Lehre, dass die Universalien eine von den Einzelobjekten gesonderte, selbständige Existenz hätten und vor diesen existierten. Dieser extrem-realistischen Ansicht stehen nahe die Skotisten *), die Anhänger des Duns Scotus. Scotus vertritt den sogenannten Realismus Empiricus, indem er behauptet, dass das allgemeine Wesen der Dinge nicht nur im Intellekte, sondern auch in den Dingen selbst von deren individueller Eigentümlichkeit unterschieden sei. Er vindiziert dem Allgemeinen eine auch reale Existenz, weil sonst die begriffliche Erkenntnis ohne reales Objekt sein würde, und will daher auch nicht das Allgemeine mit der Form identifiziert wissen. So werden von ihm die Univer- salien nahezu dinglich gefasst, und er weiss den Umstand» 1) G. IV. 157. Dazu vgl N. I. VI. pg.46: „Nam nos quoque una cum Nominalibus sine uUa dubitatione confitemur universalia in vocibus ac nominibus reperiri et voces communes universales- que esse . . . lianc igitur Ochamicam de universalibus opinionem, nos quoque in tote lioc opere contra Dialecticos Reales secuturi sumus ac defensuri". 2) Willmann II. 514 ff. — 43 — dass sie den Intellekt sollizitieren, nicht anders zu erklären als durch ihre Substanziierung. i) Der sogenannte gemässigte Realismus, der an Aristo- teles anknüpft, hält daran fest, dass den Allgemeinbegriffen im Intellekte ein Korrelat in den Individuen entspreche — fundameutum in re — , die Form ihrer Allgemeinheit aber von dem erkennenden Sabjekte herrühre. Den Realismus in gemässigter Form — universalia in re — vertritt Thomas von Aquin : universalia non sunt res subsistentes, sed habent esse solum in singularibus^), mit anderen Worten: Das Allgemeine ist seinem Grunde nach in den Dingen,^ seinem formalen Sein nach im Geiste (universale post rem). Der Nominalismus, der gleichfalls schon in der alten Philosophie, namentlich in den Sophisten, Stoikern und Epikureern seine Vorläufer hatte, entwickelte sich in der Scholastik zu einem ausgesprochenen Parteistandpunkt.') Es begründet die Sekte der ,, Nominales" Roscellinus von Com- piegne im 11. Jahrhundert. Er erklärt die Begriffe als sub- jektive Zusammenfassungen mehrerer Individuen unter einem Ausdruck und sieht so in den allgemeinen Begriffen nomina, voces, durch die wir aus Mangel an lauter Eigennamen die einander gleichartigen Objekte sämtlich bezeichnen. Dieser durch Roscellin begründete Nominalismus*), der durch die stark realistische Gegenbewegung des 12. Jahrhunderts (Anselm von Canterbury) nahezu verschwindet, nachdem er einer ge- mässigten, die Subjektivität der Begriffe betonenden, d. i, kon- zeptualistischen Richtung (Abälard, Johannes von Salisbury) Platz gemacht hat, erhebt im 14. Jahrhundert wieder kühn sein Haupt. Die Erneuerung des Nominalismus knüpft an Wilhelm von Occam an. 5) Derselbe gründet seine Verwerfung des Realismus auf den von ihm geprägten Grundsatz: entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem. Daher sei die Annahme 1) Willmann a. a. 0. 2) Summ. c. Gent. I. 65. 3) Vergl. Willmann IL § 69 pg. 350 ff. 4) Vergleiche die Dissertation von Joseph Heiners : Die Uni- versalienfrage in der Frühscholastik, Bonn 1907. 5) Ueberweg, Gesch. d. Philos. II. 305 ff. - 44 - eines realen Allo^emeinen überflüssig, und es genüge die Setzung der singularia, mit denen allein sich daher die Wissenschaften zu befassen hätten. Das Allgemeine existiert hiernach nicht in den Dingen, sondern in dem denkenden Geiste als conceptus mentis significans univoce plura singularia. ^) Ihm sind die Universalia lediglich actus intelligendi oder termini secun- dae intentionis, daher seine Schüler auch Terministen heissen. Eine allgemeinste Bedeutung gewinnt der Nominalismus im Zeitalter der Renaissance. Die meisten der neologischen Huma- nisten wie Valla, Agricola, Vives, vor allem aber Nizoiius versuchen, fusseiid auf nominalistischen Tendenzen, den Rea- lismus der Scholastik zu bekämpfen und zu beseitigen. Die Universalien, so behauptet Nizoiius als Okkamist, können ausserhalb des Wortes und des Intellekts gar nicht existieren, sondern nur in denselben. Universalia zu sein, ist in Wahrheit nur eine Eigentümlichkeit der nomina ap- pellativa, nicht aber der res. Auf diese Feststellung legt Nizoiius grossen Wert. Er bezeichnet sie als das Funda- ment seiner ganzen Disputatio.^) Unter „universalia" verstand man in der Scholastik im weiteren Sinne alle Begriffe überhaupt, im engeren Sinne die fünf allgemeinsten Begriffe der Gattung (genus), Art (species), Differenz (differentia), Eigenschaft (proprium) und des Zu- fälligen (accidens). Man nannte sie „praedicabilia", Katego- reme.3) In Rücksicht auf ihren nur in formeller Beziehung geltenden Inhalt bezeichnete man dieselben als secundae intentiones oder auch als eine Art der entia rationis, d. h. die ihr Sein nur in der Vernunft haben. Diesen Universalien spricht Nizoiius jede Realität und Bedeutung ab, nennt sie „mera vocabula barbara et res plene fictae et fabulosae"^) und setzt sich in ausdrücklichen Gegen- satz zu den Realisten, wie Boethius, Scotus, die da behaupteten. 1) Siehe weiter Ueberweg^ a. a. 0. 2) N. I. IV. 46. 3) Grimmich, Lehrbuch der theor. Philos. auf thomistischer Grundlage pg. 21 ff. 4) N. I. VIII. 74. - 45 - dass die Universalien nicht nur „in vocibus et intellectibus", sondern auch ,,in ipsis rebus extra voceni intellectumque" sich fänden. Es gibt nach Nizolius nichts Wirkliches in rerum natura ausser den ,,singularia" und den „multitudines singularium sive singularia simul et semel sumta (comprehensa)". *) In seiner allgemeinen Teilung der Dinge unterscheidet Nizolius Substanzen und Qualitäten; beide sind ihrerseits entweder Einzeldinge oder Mengen von solchen, ein Drittes ist nicht möglich. Die letzteren bezeichnet er auch als ,,tota discreta", erstere als ,,tota continua".^) Welche Rolle der Nominalismus in Leibniz' Philo- sophie spielt, drückt Guhrauer treffend aus mit den Worten: „W'ir sehen den nemlichen Geist (des Nominalis- mus) durch alle Phasen der Entwicklung der Leibnizschen Philosophie als einen charakterisierenden Typus wieder- kehren." Er erläutert sodann diese Behauptung, indem er fortfährt: „Der Nominalismus führt zu einer nüchternen Naturforschung und zu einer dieser geinässen Naturphilo- sophie und schliesst sich an die Erfahrung an, statt die Natur aus innerer, wie tief auch geschöpfter Selbstanschau- ung, im Geiste zu gestalten. "3) Der Nominalismus hat also im Gefolge den Realismus (nur die res existieren in Wirklichkeit), jedoch nicht jenen oben erwähnten scholastischen Realismus, der den Begriffen 1) N. I. VIII. pg-. 75: ,,No8 enim prorsus ita dicimus et affir- mamus, in tota rerum natura nihil esse nee esse posse, quod unum et idem cum sit, eodem tempore totum et integrum possit esse in muitis, vei singularibus subjecto distinctis. vel speciebus quomodo- cunque differentibus". 2) N. I. X. SO; „Diximus in g-enerali divisione rerum, omnia quaecunque sint in tota rerum natura, in summa esse, aut sub- stanti.is aut qualitates, et omnes tam substantias quam qualitates rursus esse, aut res siujiulares aut multitudines singularium .... necesse est omne totum esse aut unam rem tantum singularem, aut unam multitudinem rerum singularium, cum nihil lertium esee possit in summa in tota rerum natura non sint nee esee possint, nisi duo totorum genera, totum continuum, et totum dis- cretum." 3) G. E. Guhrauer „Leibniz' Dissertation De principio individui". Einleitung pg. 49. — 46 — Realität vindizierte und daher eher die Bezeichnung „Forma- lismus" verdiente. Diesem realistischen Nominalismus der Scholastik hul- digte auch Leibniz in seinen Jugendjahren. Zeugnis hiervon gibt seine erste Schrift, die ,,Dissertatio de principio indi- vidui" (individuationis) 1663, die sich ganz in nominalistisch- realistischen Bahnen bewegt. Er behandelt in derselben das Individuationsproblem und polemisiert vor allem gegen die Skotisten. ^) Aehnlich wie die Universalienfrage bildet bekanntlich auch das Problem der Individuation einen Hauptkontrovers- punkt in den mittelalterlichen Schulen. 2) Nach der Lehre der Thomjsten ist das aus Materie und Form bestehende Wesen individuiert, d. i. von seinesgleichen abgeteilt und gesondert vermöge der quantitativ umschriebenen oder gesiegelten Materie derart jedoch, dass ihm auch die der Zahl der Individuen entsprechend vielfach gesetzte Form als eigen zukommt. Danach gibt es bei immateriellen Wesen (Engeln) keine Individuation. Andere wie Bonaventura suchen das Individuations- prinzip in der Form und Materie zugleich, so dass die Form des aliquid esse die Materie des hoc esse gibt. Duns Scotus, der die thomistische Lehre bekämpft, statuiert ein eignes Prinzip für die Individuation, die ,,haec- ceitas"=Diesheit. Er will hinsichtlich des Verhältnisses des In- dividuellen zum Allgemeinen nicht das Allgemeine mit der Form identifiziert und in der Materie nicht das individualisierende Prinzip angenommen wissen; denn das Individuum kann als tdtima realitas, da die individuelle Existenz nicht ein Mangel, sondern eine Vollkommenheit ist, aus dem Allgemeinen nur durch Hinzutritt positiver Bestimmungen hervorgehen, indem nämlich das allgemeine Wesen oder die Washeit (quidditas) durch die individuelle Natur (haecceitas) ergänzt wird. 8) 1) G. IV. 23 ff. Siehe besonders §§ 17, 19, 22—25. 2) Willmann II. 374 ff. 3) Ueberweg II. 292. - 47 - Leibniz beantwortet die Frage nach der Individuation dahin, dass jedes Individuum sich durch die Totahtät seiner Natur, seines Begriffes individuiere : pono igitur, omne indi- viduum sua tota Entitate individuatur. i) Die Hauptbedeutung der Dissertation ist wohl darin zu suchen, dass sich Leibniz hier, wo er noch Scholastiker ist, für den Nominalismus oder, im modernen Sinne des Wortes, für den individualistischen, konkreten Realismus entschieden hat. In §22 der er.vähnten Schrift argumentiert Leibniz gegen Scotus unter anderem ; ,,Quamvis enim sunt loca quaedam Scoti, quibus asserat, posse fortasse Deum facere, ut universalia sint extra singularia, et similiter genus extra speciem, tamen id absurdum probo, quia nulla daretur divisio adaequata: daretur animal nee rationale nee irrationale" 2); ferner in § 25; ,,Si omnis intellectus creatus tolleretur, illa relatio periret et tamen res individuarentur .... Addo, quod relatio illa, si esset realis, haberet suam haecceitatem, esset enim singularis, et ita in infinitum." Wie hoch Leibniz von den Nominalisten denkt, be- weist er in seiner ,,Dissertatio de stylo Philosophico", worin er dieselben als die „profundissima secta omnium inter Scho- lasticos" und ,,hodiernae reformatae philosophandi rationi congruentissima" bezeichnet. ^) Die allgemeine Regel, deren sich die Nominalisten ge- meiniglich bedienen, laute: Entia non esse multiplicanda praeter necessitatem. Diese Regel (Occams) werde von Geg- nern häufig angegriffen, gleichsam als ein Unrecht gegen die göttliche Fruchtbarkeit, die, mehr freigebig als sparsam. Gefallen habe an der Mannigfaltigkeit und Fülle. Jedoch die- jenigen, die solchen Vorwurf erheben, schienen ihm nicht ge- nügend die Absicht der Nominalisten begriflfen zu haben, die, allerdings etwas dunkel ausgedrückt, darauf hinausgehe, dass eine Hypothese um so besser ist, je einfacher sie ist, und dass bei der Begründung und Erklärung von Erscheinungen 1) De Princ. indiv. § 4. Siehe dazu die Einleitung- Guhrauers. 2) G. IV. 24. 3) G. IV. 157. — 48 — am besten derjenige verfährt, der möglichst wenig „gratis supponiert". Denn gerade derjenige, der anders vorgehe, klage hierdurch die Natur oder vielmehr Gott, ihren Urheber^ an und zwar eines ungehörigen und zwecklosen Ueber- flusses. Aus der obengenannten Regel hätten nunmehr die No- minalisten weiter den Satz abgeleitet, dass alles in rerum natura sich erklären lasse, auch wenn es überhaupt keine Universalia und Realia Formalia gäbe, eine Ansicht, die vollständig wahr und eines Philosophen seiner (Leibniz') Zeit würdig sei. ^) Leibniz scheint in der genannten Dissertation einem naiven Sensualismus zu huldigen, wenn ihm die objektive Gültigkeit oder Realität der Erkenntnisse gewährleistet er- scheint durch ihre Uebereinstimmung mit den Sinnesemplin- dungen: „Die Wahrheit eines Satzes beruht darauf, dass das, was er bezeichnet, empfunden wird, wofern nur das empfindende Subjekt und das Medium recht disponiert sind. Und dies ist die einzige und wahrste Definition der Wahrheit." ^) Es sind ihm hier also die Sinne das Mass der Wahrheit. Allerdings wird der vermeintliche Sensualismus, wie Kabitz richtig be- merkt, abgeschwächt durch die Erklärung, dass der Grad der Gewissheit eines Satzes abhängig ist von der Klarheit über die in ihm enthaltenen Begrifi'e, welche uns nur durch Definition derselben zuwächst, und dass das Mass der Klarheit der Intellekt ist. ^) Leibniz behauptet von den Reformatoren der Philosophie, dass sie, wenn nicht mehr als Nominalisten, jedenfalls alle Nomic allsten seien. Um so mehr passe daher auch Nizolius als Nominalist für seine Zeit. 1) G. IV. 15a 2) „Vera est oratio, quae sentiente et medio recte disposito sentietur. . . . Haec oratio: Roma ad Tiberim sita est, ideo vera est, quia ut sentiam quod dicit, nihil aliud requiritur, quam ut sentiens et medium recte se habeat ; sentiens nimirum nee sit caecus, nee surdus, medium seu intervallum non eit grande." G. IV. 138. 3) Gerh. ibidem. — 49 — c) Leibniz' Kritik an Nizolius. a) Behandlung der Universalienfrage. Trotz Anerkennung der grossen Vorzüge des Nizolius findet Leibniz gar manches an ihm auszusetzen. Zunächst empfindet er den Titel des Werkes „De principiis et vera Ratione Philosophandi" höherklingend als billig. i) Denn das ganze Werk enthalte nur die Reform der Logik und ihre Zurückführung auf einen reinen und ursprünglichen Sprach- gebrauch. Nizolius bekämpfe hier und da die Metaphysik, bringe jedoch nichts vor, was die Prinzipien derselben erschüt- tern könne oder was den Dialektikern unbekannt wäre, und nirgendwo unternehme er eine tractatio de uno et multo, de toto et parte und ähnliche metaphysische Fragen. Die „res naturales et mathematicae" werden überhaupt nicht, die „Civilia*' kaum nebenbei erwähnt. Für den hochtrabenden Titel findet Leib- niz eine Erklärung in der Auffassung, dass die wahre Logik nicht nur ein „instrumentam" sei, sondern gewissermassen die Prinzipien und die rechte Weise des Philosophierens be- handeln müsse, weil sie jene allgemeinen Regeln enthalte, nach denen sich Wahres und Falsches allein voneinander trennen lasse. Aber ihre Prinzipien sollen auch gar nicht zu der Philosophie und ihren propositiones im eigentlichen Sinne gehören und die Wahrheit der Dinge nicht erzeugen, sondern nur beweisen; dennoch werden sie einen Philosophen ausmachen und die Prinzipien des richtigen Philosophierens sein müssen, was zur Verteidigung des Nizolius genüge. Abgesehen hiervon findet Leibniz bei Nizolius viele schwere Fehler, von denen er die hauptsächlichsten in der be- nannten Dissertation ,,De stylo philosophico", die übrigen aber in kurzen Fussnoten behandelt, die er dem Werke des Nizolius selbst eingefügt. Zunächst fordert nach Leibniz zum Tadel heraus die „malevicentia", mit der Nizolius gegen Aristoteles, 1) G. IV. 137. Renftissance and Philosophie, Heft V. — 60 - Piaton, Galen, die alten griechischen Interpreten des Aristo- teles und die Scholastiker ohne Ausnahme verfahre. Den Thomas von Aquin nennt er hierbei einen ,,münoculum inter caecos".^) Kein grosses Verdienst hat sich Nizolius ferner nach Ansicht Leibnizens erworben, wenn er die Fehler der Scho- lastiker dem Aristoteles zuschiebt, da doch zur Zeit dank den Bemühungen der gelehrtesten Männer, deren Leibniz eine Menge aufzählt, nichts mehr feststehe, als dass Aristoteles, entgegen der falschen Ansicht eines Valla, Nizolius, Bassus und anderer ,,Aristotelomastiges", für keine der ineptiae, durch die die Scholastiker überall entstellt sind, verantwortlich zu machen sei. Nizolius fordert u, a. als allgemeines Prinzip der Wahr- heit, dass man nichts Parodoxes, Ungebräuchliches oder Neues in die Philosophie einführen dürfe. 2) Gegen diese Regel haben sich, wie er behauptet, vor allem Piaton und Aristoteles ver- sündigt. Ersterer habe, von vielem anderen Parodoxen und Absurden abgesehen, besonders jene abgeschmackten und nichtssagenden Ideen eingeführt. 3) Ueberhaupt will Nizolius den Piaton nur als grossen Redner und Dichter gelten lassen — seine Ideen will er auch nur als geistreiche"^) Dichtungen aufgefasst wissen — , nicht aber als grossen Philosophen und gründlichen Erforscher der Wahrheit.^) Leibniz nimmt den Piaton in Schutz und wirft dem Nizolius vor, dass er ihm in die Natur und den Begriff der Ideen nicht genügend eingedrunj^en zu sein scheine. „Wer daher ein Beispiel wünscht von der ausserordentlich tiefen Philosophie Piatons, der lese nicht die Interpreten, die — auch die alten — im schwulstigen und bombastischen Tone reden, sondern, den „Parinenides" und „Timaeus" selbst, von denen jener de uno et ente, id est Deo zu bewunderungswürdigen Schlüssen kommt, dieser die Natur der Körper allein durch die Bewegung und Figur bestimmt, was gewiss mit Recht 1) N. IV. VII. 343 ff. 2) N. I. I. 13. 3) ibidem. 4) N. 1. X. B2. 5) N. IV. VII. 845. — 51 - "heute von unsern neuen Philosophen ganz und gar ge- billigt wird." Eingehender befasst sich Nizolius mit Aristoteles. Er wirft ihm zunächst vor, dass er, statt es bewenden zu lassen bei der richtigen Zurückweisung jener Platonischen Ideen, einen noch viel grösseren Irrtum begangen habe, indem er dieselben ersetzte durch Einführung seiner „Universalia" (tdc xa^öXoo), die noch weit unnützer, unwahrer und absurder seien als die „Ideen' Piatons. i) Nizolius begnügt sich nicht damit, diesen Universalien ihre reale Existenz abzusprechen, er leugnet auch jeglichen Wert derselben für die Wissenschaft.^) Es gibt für ihn nur Einzeldinge und Zusammenfassungen von solchen : „singularia" et ,,multitudines singularium''. Wenn nun die Dialektiker behaupten, über die Einzeldinge lasse sich keine Wissenschaft und Definition aufstellen, da sie an Zahl ,,infinita" und ihrer Natur nach „corruptibilia" seien, was dagegen bei ihren „universalia" nicht der Fall sei, so behauptet Nizolius dennoch: „artes et scientias et definitiones tradi et esse non de uni- versalibus realibus, quae ficta commentitiaque sunt . . . sed de singularibus et individuis". Die singularia, „singula per se separatim" genommen, sind, so gibt er zu, allerdings un- zählbar und vergänglich, dagegen „universe vel in Universum i. e. simul et semei" gefasst, nicht. In diesem Sinne ge- nommen sind die singularia unvergänglich und ewig, nämlich „per continuam successionem et perpetuam quasi generationem singularium", und zugleich, „in Universum vel universe i. e. simul et semel" gefasst, nicht unbegrenzt. Nizolius setzt also an die Stelle des nach seiner Ansicht falschen „univer- sale" der Dialektiker, der „secunda intentio", wie sie es auch nennen, das auf die innere allgemeine Wesenheit des Dinges geht, sein „Universum", das ihm den Inbegriff oder die Totalität der Einzeldinge bedeutet. Nizolius behauptet ferner gegenüber seinen dialektischen Gegnern, dass auch Schlüsse und Beweise zustande kämen 1) N. I. I. 14. 2) N. I. VU. 48. Vergl. pg. 42 ff. dieser Abhandlung. — 52 - nicht auf Grund ihrer Universalifti, sondern vielmehr der voa ihm aufgestellten Universa. Denn die Schlüsse bedeuteten keinen Uebergang vom Allgemeinen (universale) zum Be- sonderen (particulare), sondern vielmehr von der Gesamtheit (universa) zum Einzelnen (singularia). Ein gleiches gelte von der Induktion in umgekehrter Weise, von den singula zu den universa.^) Endlich sind die Universalia nach Ansicht des Nizolius nicht notwendig bei der Prädikation des Höheren aus Niederem. Denn nicht reale Begriffe werden von Individuen prädiziert, sondern nur Namen. Wegen der Prädikation der genera aus ihren species und der species aus Individuen sei durchaus die Setzung von universalia nicht notwendig. In Sätzen wie homo est aniraal sei animal nicht vox oder genus oder species oder universale, sondern res vera, als wenn es hiesse : unus homo est unum animal. Denn es könne kein wahres genus von seiner species prädiziert werden „in recto «-asu". Dies gelte von allen appellativa simplicia, d. h. Kollektivnamen. Von diesem eigentümlichen, eigent- lichen Gebrauch unterscheidet Nizolius den figürlichen, wenn z. B. der Plural steht für den Singular und zwar in obliquo casu, so : homo sive species hominis est in genere animalium. „Aucii in diesem Falle ist animalium nicht universale, wie es die Dialektiker und Philosophaster in törichter und einfältiger Weise erdichten, sondern vox, da es prädiziert wird und zwar „in obliquo casu", was immer den voces eigen ist. Hier bedeutet animal als genus soviel wie omnia animalia oder omne genus animalium = multitudo omnium animalium singulaiium. Somit setzt Nizolius an die Stelle der logischen Prädikation teils eine „tautologische'', eigentliche d. i. des Individuums von sich selbst, teils die uneigentliche, figürliche des genus vom individuum oder die Subsumtion unter eine Ge- samtheit. Das genus ist ihm also ein Kollektivname und ein allgemeiner Begriff in dem Sinne, dass es eine Vielheit von Dmgen unter sich begreift und zusamraenfasst. Nizolius muss von seinem extremrealistischen Standpunkt aus auch N. I. VII. .57. — 53 — jene Lehre der Dialektiker als falsch bezeichnen, nach der ein Satz wie : homo est animal Geltung für ewige Zeit hat, auch wenn es in der Welt keinen einzigen Menschen gäbe, weil man nämlich in ihrem Sinne bei den praedicata essentialia nicht fragt nach der existentia subjectorum.^) Gerade als wenn (meint Nizolius) jene praedicata nicht in den einzelnen Menschen existierten, sondern auf dem Mondball oder dort, wo die Platonischen Ideen ihren Sitz haben. Auch die Singularia können im kollektiven Sinne d. h. £gürlich gebraucht werden. Es stehen dann die Singularia synekdochisch für die Pluralia z. B. homo est animal = bomines sive omnes homines sunt animalia. Dieses figürlichen Gebrauchs des Singularia an Stelle des Pluralis bedienten sich die ausgezeichnetsten Schriftsteller, besonders in Definitionen, Gesetzesbeschlüssen, Betitelung von Schriften und Anführung von Beispielen. 2) Die Gattungen und Spezies werden, da sie in seinem Sinne Kollektivnamen sind, also Subsumtionen von Einzel- dingen darstellen, unmöglich, falls ihnen alle singula, die sie unter sich begreifen, genommen werden. Das universale oder vielmehr das Universum des Nizolius ist ein Sammelname wie exercitus, populus u. a., also ein kollektives, diskretes Ganze, im Unterschiede zu. dem kontinuierlichen Ganzen wie corpus, domus. „Nomina hominis et animalis et cetera huiusmodi . . . nihil aliud est nisi multitudo ex individuis composita et totum quoddam discretum, ex nullis aliis nisi ex singularibus vere constans'*.^) Den Vorgang der Subsumtion der Einzeldinge unter «in dieselben in ihrer Gesamtheit umfassendes Ganze — genus sive multitudo sive Universum sive totum discretum — , diese Zusammenfassung, die „comprehensio vere philoso- phica et oratoria", will Nizolius gesetzt wissen anstatt der barbarischen und falschen Abstraktion der Dialektiker, aus der die universalia hervorgehen sollen. Seine „comprehensio" definiert Nizolius als „die Tätigkeit 1) N. IV. V. 329. 2) Siehe N. I. IV. 2.S flf. 3) N. I. IV. 33. Aehnlich auch I. VII. 54. — 54 — oder Operation des Intellektes, vermöge deren der mensch- liche Verstand alle Einzeldinge ihrer eignen Gattung — singularia omnia sui cuiusque generis — ein für allemal zu- sammenfasst und auf den zusammengefassten dann weiter alle Wissenschaften, Künste, Schlüsse und die übrigen Ar- gumente aufbaut". Die comprehensio ist, wie Nizolius be- hauptet, eben jenes, was die Griechen „tö xadöXoo eiTrsiv'* und die Lateiner „in Universum loqui" nennen. i) Die drei Abstraktionen der Peripatetiker, die physika- lische, die mathematische und am meisten die metaphysische sind ganz und gar falsch, wie er näher ausführt im siebenten Kapitel seines dritten Buches. „Schon der Umstand, dass die Universalien falsch sind, beweist allein, dass auch jene Abstraktion falsch sein muss, oder es müsste eine falsche Folge (effectüs falsus) aus einer wahren Ursache (causa vera) hervorgehen können. 2) „Es gibt in der Welt nichts als Einzeldinge und Mengen solcher. Die Dinge aber, die die Dialektiker ,,per intellectum" von den Einzeldingen abstrahieren wollen, existieren nicht in natura rerura. Ueberhaupt ist das „abstrahere* der Dia- lektiker kein „separare res intellectas a materia", wie sie vor- geben, sondern ein „considerare unam rem sine alia" (d. i. das Subjekt ohne Qualität, die Qualität ohne Subjekt u. s. w.), und weiterhin ein „comprehendere per intelligentiam omnia generis considerati singularia simul et semel ita separata".^) Den grössten Grad von Falsch und Absurd erreicht ihm die metaphysische Abstraktion, die, weil sie am weitesten entfernt sei von den Einzeldingen und der Materie, auch am meisten abweiche von der Wahrheit. Das „ens in quantum ens'*, oder wie die Griechen es nennen, das „ov "^ öv", welches als das am meisten abstrakte von jedem materiellen Einzel ding das wahre „Subjectum" der Metaphysik sein soll, bezeichnet Nizolius als Dichtung und leeren Traum und behauptet 1) N. III. VII. 256. 2) ibidem 259. 3) ibidem 260. — 55 — immer wieder ^), dass „omne ens mundi" entweder ,,unum ens individuum et singulare" oder ,,una multitudo entmm singu- larium et individuorum'* sei und dass es ausser diesen beiden Modi des Seins keinen dritten gebe. Nicht das ,,ens", sondern vielmehr die „res" ist für Ni- zolius der dem Umfang nach allgemeinste Begriff; denn letzterer umfasse nicht nur das Seiende, sondern auch Nicht- seiendes. Dokumentiert sich bereits in dem Verwerfen jeglicher Abstraktion und der Begriffe, die frei von Materie sind, ein rein sensualistisch^r Zug, so besonders in dem Leugnen eines Unterschiedes zwischen sensibler und intelligibler Materie. Es ist geradezu für Nizolius die sensible Materie zugleich intelligibel; denn ,, alles, was vom Sinne perzipiert wird, das wird auch vom Intellekte perzipiert, allerdings von letzterem in vollendeterem Masse". 2) Der Verstand hat also mit den Sinnen dasselbe Objekt gemein, ausserdem aber noch die Fähigkeit, die Namen und die Eigentümlichkeiten der Dinge zu erfassen. Damit ist als letzte Konsequenz die Aufhebung aller Demonstrationen, Definitionen und Wissenschaften gegeben, die — vor allem die Dialektik und Metaphysik — auf Grund der abstrahierten Uni versahen aufgebaut sind. Nizolius behauptet^), dass eine demonstratio unter den Bedingungen, wie sie Aristoteles derselben zagrunde lege, nämlich „ex veris, primis, immediatis, prioribus et notioribus et causis conclusionis : et praeterea ex universalibus, neces- sariis, per se et secundum quod ipsum" sich weder bei Aristoteles selbst noch einem anderen finde. Vielmehr habe in so vielen Jahrhunderten seit Aristoteles bis jetzt niemand ausfindig machen können, „quodnam sit potissimae demon- strationis medium", noch auch, ,,quae et quales sint nonnullae particulae in eius defiuitione appositae''. Ausserdem soll sich jede „demonstratio" auf etwas Bekanntes stützen ; da dieses 1) N. III. VII. 262 2) N. III. VII. 2.Ö8. 3) N. IV. III 318 ff. — 56 - aber die „universalia" sein sollen, die kraft seiner vorher- gehenden Beweise falsch sind, so rauss auch die demonstratio und weiterhin jede scientia demonstrativa falsch sein. Nizolius erklärt die Dialektik als falsch, überflüssig, nicht notwendig, schädlich und verderblich. Sie sei daher aus der Zahl der Künste und Wissenschaften zu entfernen.^) „Mit Unrecht hat man sie neben Grammatik und Rhetorik als den dritten Teil der Logica Philosophia gelten lassen, und fälschlich hat Aristoteles derselben ebenso wie der Rhetorik alle Dinge der Welt subjiziert und beide somit ihrer Materie nach nicht von einander unterschieden." Aehnlich der Dialektik sei auch die Metaphysik*) weder notwendig noch wahr, sondern teils falsch, teils unnütz, teils überflüssig und könne daher als solche ebenfalls keinen Platz haben unter den Künsten und Wissenschaften. Wie Aristoteles behaupte, sei jenes allgemeinste und universalste ,,ens qua ens = tö ov -^ ov" proprium Metaphy- sicae subjectum. ,, Dieses ens muss entweder particulare oder universale sein. Als particuläres kann es nicht in Betracht kommen, da nach der Lehre der Peripatetiker über particu- laria keine Wissenschaft existieren kann ; also bleibt übrig, dass es universal^ sein muss. Die universalia aber sind be- wiesenermassen alle falsch. Also muss die Metaphysik, wenn ihr „subjectum'' falsch, auch selbst falsch sein. Wenn daher ihr eigenes „subjectum" falsch ist, so kann sie sicherlich nicht die Prinzipien und ,,subjecta" der übrigen Wissen- schaften befestigen und beweisen, zumal sie selbst keine Syllogismen, keine Induktionen, keine „modi arguraentandi" besitzt, sondern diese vielmehr der Dialektik oder Rhetorik entleihen muss — kurz, sie kann auch keine ,, scientia generalis", keine Allgemeinwissenschaft sein. "3) L e i b n i z lässt sich gegenüber diesen folgenschweren Angriffen des Nizolius auf Aristoteles eine eingehende Er- örterung und Verteidigung der Aristotelischen Lehren ange- 1) Siehe N. III. V. 223 ff. 2) N. IIL VI. 245 ff. 3) N. III. VI. 251. — 57 — legen sein. Er behauptet zunächst, dass Aristoteles jenen abgeschmackten und für den Intellekt unerträglichen Dog- mata, die ihm die allgemeine Unkenntnis der früheren Zeit zuschrieb, fern stehe. ^) Er habe durchaus nichts gewusst von den sogenannten ,,realitates forraalitatum", sondern nur allgemeinste BegriflFe (notiones generalissimas) überliefert. Aristoteles habe keine „universalia realia" angenommen, ge- schweige gesetzt, wie sie ihm Nizolius vorwerfe ; denn es finde sich von diesen bei ihm keine Spur „nisi in singu- laribus, mente et vocibus". Zwar bekennt sich auch Leibniz als Nominalist ; aber er vertritt nicht den exzessiven, mit Sensualismus endigenden Nominalismus des Nizolius. Vielmehr trägt der Leibnizsche Nominalismus einen gemässigten, ,, durchgeistigten'' Charakter zur Schau. Leibniz gibt zu, dass die Universalien nur Namen und keine Realitäten seien, und dass nichts wahrer sei als die Behauptung der Nominalisten, alles lasse sich in der Natur erklären, auch wenn mau sich der Universalien und realen Formalitäten enthalte.^) Aber auch nur in dieser Be- ziehung — nämlich in der Naturphilosophie — huldigt Leibniz dem Nominalismus, nicht aber in der Erkenntnistheorie. Er vindizirt den Allgemeinbegriffen nicht nur einen selbständigen Inhalt, sondern betrachtet dieselben auch als apriorisches Besitztum des Geistes und setzt sich in bewussten Gegensatz zu dem zeitgenössischen Sensualisten Locke. ^) Seinem metaphysischen Prinzip gemäss, dass in Wirk- lichkeit nur Einzelnes existiere, musste der Nominalismus bei Nizolius einseitig zu Ende geführt, zum reinen Sensualismus werden. Auch bei Leibniz kann man in seinen Jugendjahren eine Hinneigung zur sensualistischen Erkenntnistheorie bemer- ken ; er zieht jedoch nicht wie sein Vorgänger aus der Renais- sance die letzten Konsequenzen. Vielmehr wird bei ihm der Sensualismus durch die stark rationalistischen Tendenzen seiner Metaphysik und Logik fortwährend in Schach gehalten.-*) 1) G. IV. 155. 2) Q. IV. 158. 3) VergL Guhr. Einl. zur Dias. De. princ. indiv. 49. 4) Kab. 38 fr. — 58 - Ausdrücklich erklärt sich auch Leibniz gegen den Ultranominalismus des Hobbes in der Vorrede zur Nizolius- ausgabe.^) „Nicht zufrieden mit den Nominalisten die Uni- versalien auf Namen zurückzuführen, behaupte dieser sogar^ dass die Wahrheit selbst der Dinge im Namen bestehe, ja,^ dass sie von menschlicher Willkür abhänge, da die Wahr- heit von den Definitionen der Begriffe, diese Definitionen aber vom menschlichen Willen abhängig seien. Aber diese Ansicht kann nicht zu Recht bestehen. Wie in der Arith- metik, so bleiben auch in anderen Wissenschaften die Wahrheiten, auch wenn sich ihre Zeichen ändern, und es hat gar nichts auf sich, ob „man das dekadische oder ein anderes Zahlensystem anwendet. "2) I.eibniz lehnt also den Nomina- lismus ab, sofern er in den „Abstracta" und „Universalia" ein rein willkürliches Zeichensystem erblickt und ihnen alle objektive Realität abspricht. Die Abstrakta und Universalia haben ihren Realgrund in den einzelnen Dingen, sie haben nur keine von diesen abgesonderte Existenz, es sei denn im Verstände Gottes. Er betont Nizolius gegenüber wörtlich seine gegensätz- liche Stellungnahme innerhalb des Universalienproblems : „In diesem Punkte muss man daher vom Autor (d. i. Nizolius) abweichender Meinung sein und durchaus behaupten, dass es „Nomina Universalia*' gibt" ^) u. s. w. ; ähnlich an anderer Stelle : „Man darf endlich nicht einen schweren Irrtum des Nizolius bezüglich der Universalien in Abrede stellen."*) „Nizohus irrt, wenn er an Stelle des universale sein Universum sive multitudo singulariura sive totum discretum gesetzt wissen will und wenn er behauptet, über dieses totum collectivum als Gesamtheit der Einzeldinge allein sei eine Wissenschaft möglich, da nur die Einzeldinge wirklich in rerum natura vorhanden seien und, wenn auch einzeln genommen, unbegrenzt und vergänglich, jedoch in ihrer l)Qerh.IV. Iö8| v,,g.i. ^^,h Kab. 41 f. '2; ,, ibidem ) 3) N. I. IX. 77. 4) G. IV. 160. — 59 - Gesamtheit — universe accepta — nicht so unendlich, dass sie sich nicht leicht erkennen und verstehen Hessen, und ausserdem ewig seien „per continuam successionem et perpetuam quasi regenerationem singularium". Mit dieser Erklärung kommt Nizolius bei Leibniz nicht fort. ,,Denn wenn die Zahl der Einzeldinge", so entgegnet Leibniz ^), „unbegrenzt ist, so können letztere folglich nicht simul ac semel genommen werden. Denn ein Ganzes ist unendlich, dessen Teile un- endlich sind. Wenn daher die Wissenschaft sich befassen muss mit einem Universum genus, letzteres aber als totum coUectam alle Einzeldinge darstellen soll, so muss diese Wissenschaft, da alle Einzeldinge iu ihrer Gesamtheit unbegrenzt oder wenigstens unbestimmt sind, sich be- fassen mit einer res infinita aut indefinita, also mit einem unfassbaren Gegenstand (res incomprehensibilis)". Damit ist für Leibniz eine Wissenschaft nach den Prinzipien des Nizolius unmöglich. Wenn daher z. B. die Wahrheit des Satzes 3X3 = 9 von der ,,collectio omnium singularium seu inductio" ab- hängig wäre, so würde man dies nie sicher wissen können, bevor alle singularia erforscht sind, was ins Unendliche geht. Also kann es entweder keine bestimmte Wissenschaft geben, oder aber es muss falsch sein, dass die universalia und weiterhin die Wissenschaften sich gründen auf eine Sammlung von Einzeldingen d. i. auf Induktion. Was ferner die Ewigkeit der Einzeldinge „per successi- onem" anbelangt, so hört, bemerkt Leibniz, diese successio auf beim Untergang der Welt. Trotzdem aber lasse sich, selbst wenn die Menschen sich nicht erneuerten, selbst wenn das ganze Menschengeschlecht verschwände, vieles wahr über das Menschengeschlecht aussagen, z. B, bliebe wahr der all- gemeine Satz: Wenn es einen Menschen gibt (auch wenn keiner existiert), so muss er ein Sinnen wesen sem.^) Aehn- lich würde, auch wenn alle Elephanten getötet würden, doch Geltung haben der Satz : Si quis est Elephas (sive sit sive 1) Siehe N. I. VII. 49 ff. 2) N. I. Vir. 49. — 60 — non sit), ille est animal.i) Denn die Bedingung setzt nichts. Daher fragt es sich hinsichtlich der Wahrheit dieses Satzes nicht, dass irgend ein Mensch oder Elephant existiere, sondern dass, wenn er existiere, er notwendigerweise auch ein Sinnenwesen ist.-) Die Wissenschaft handelt also nach Leibniz nicht nur ,,de existentibus", sondern auch ,,de possibilibus". Sie fragt nicht, ob ein Dreieck unter den Dingen existiert, sondern nach dem, was daraus folgt, wieviel Winkel es hat, wenn es existiert. Die Wissenschaft befasst sich daher nicht nur mit „universalia realia", sondern mit allen „singularia'% auch den „possibilia".^) Das ,, universale" sei infolgedessen auch nicht, wie Ni- zolius annimmt, ein totum discretum collectivum, sondern ein totum distributivum. Leibniz behauptet: „Es gibt neben den zwei Arten der Ganzen , dem kontinuierlichen und dem diskreten, die Nizolius unterscheidet, noch ein drittes, ein disjunktives oder distributives". Es muss daher einerseits heissen : animal est aut homo aut brutura, nicht €t homo et brutum, ebenso: omnia animalia sunt aut homines aut bruta. Andererseits aber muss man sagen: Multitudo omnium animalium est et homines et bruta. Etwas anderes ist ,, omnia animalia", etwas anderes ,, multi- tudo omnium animalium". Das eine ist genus, das andere totum; dieses ein „totum distributivum", jenes ein ,, totum <5ollecuvum". Also folgt aus dem Satze : omnes homines sunt animalia nicht, wie Nizolius annimmt, dass das Universale ein kollek- tives, sondern, dass es ein distributives sein muss." Das ,, omnes homines" hat nämlich distributiven Sinn, d. h. nimmt man diesen (Titius) oder jenen (Cajus) Menschen, so wird man linden, dass er ein Sinnenwesen ist (esse animal seu aentire).*) Die kollektive Auffassung des Nizolius würde 1) N. I. IV. 24. 2) N. IV. V. 330. 3) N. III. I. 193. 4) G. IV. 160. — 61 — vielmelir eine Ungereimtheit nach sich ziehen. Würde man nämlich in dem Satz: ,,omnis homo est animal" oder ,,omnes homines sunt animalia" statt ,,omnes homin- s" das für Nizolius ihm gleiche, ,totum genus huraanum" setzen, so würde sich folgen- der absurde Satz ergeben ; totum genus humanum est animal, desgleichen, wenn man ,, animal" als ,, genus'' gegenüber ,,homo" als „species*' in kollektivem Sinne annimmt, wie es Nizolius tut, also gleich „omnia animalia simul sumta" und dieses einsetzte, der ebenso ungereimte Satz : Homo est omnia animalia simul sumta. Vielmehr hat der Satz distributiven Sinn und bedeutet soviel wie: omnis homo est quoddam animal seu aliquod ex universo genere aniraalium. Ebenso ist der Satz: Socrates est homo, in dem ,,homo" genus ist, nicht gleich: Socrates est omnis homo — kollektiv — sondern gleich : Socrates est quidam homo — partikulär. Es kann dann daher überhaupt nie ein „universale", sondern immer nur ein „particulare" vom Niederen (de inferioribus) prä- diziert werden.^)" Mit schlagenden Gründen hat hier Leibniz gegenüber dem Ultranominalismus des Nizolius bewiesen, dass die all- gemeinen und notwendigen Urteile, die demonstrativen Wahr- heiten keine Kollektivurteile sind, dass es sich in ihnen nicht um eine Snmmation von Subjekten der Aussage handelt, und dass ebenso die abstrakten Begriffe nicht Begriffe von kollektiven Ganzen sind, sondern dass sie das Einzelne und Besondere unter sich befassen und distributiv sind. 2) Nizolius setzt, um zu seinem ,, Universum" zu kommen, die Tätigkeit der ,,comprehen8io" aller Einzeldinge zu einem Ganzen, im Gegensatz zu seinen Gegnern, die zu ihrem ,, universale" gelangen durch die Abstraktion von der Materie zum Allgemeinen.^) Weil die ,,universalia", das Ergebnis der Abstraktion, falsch sind, muss für Nizolius auch letztere falsch sein. Nach seiner ,,komprehensiven" Abstraktion sind daher die „res naturales" nicht weniger abstrakt und lassen 1) N. I. IV. 25. -■) Gerh. IV. 160. Dazu vergl. auch Kab. H3 ft". y) N. IJI. VII. 2bh S. - 62 — sich nicht weniger ohne Materie definieren als die ,,res ma- theniaticae" z. B. candor est color contrarius nigritiei. Aber Leibniz bemerkt, diese Definition sei nichtig; denn ebenso könnte man definieren : nigrities est color contrarius candori, und so würde ein Zirkel entstehen.^) Wenn Nizolius ferner erklärt, die mathematischen Dinge (curvus) unterschieden sich von den realen (simus) nur dadurch, dass letztere ein bestimmtes ,,8ubjectum" haben, während das bei ersteren nicht der Fall sei, so ist das nach Ansicht Leibnizens ganz genau auch die Meinung der Scho- lastiker, nur dass sie es weniger treffend ausdrücken. Man könne also z. B. ein „spatium curvum" durchaus denken, auch wenn man alle Körper aufhebt, nicht aber unter der letzten Voraussetzung einen schwarzen Gegenstand. Der Irrtum des Nizolius betreffs seiner falschen Univer- salia ist, wie Leibniz ausdrücklich hervorhebt 2)^ kein leichter; denn er hat noch etwas Bedeutendes im Gefolge. „Wenn die ,,universalia" nichts anderes sind als „coUectiones singu- larium*', so folgt, dass es kein demonstratives Wissen, sondern nur ein Wissen durch Induktion gibt. Auf diese Weise werden alle Wissenschaften von Grund aus aufge- hoben. Durch Induktion nämlich lassen sich nie vollkommen allgemeine Sätze aufstellen, da man nie sicher ist, alle Indi- viduen untersucht zu haben, und daher diese Art Allgemein- heit, weil sie sich auf die jeweilige Erfahrung beschränkt, mit der Möglichkeit zu rechnen hat, dass die unzähligen Dinge, die man nicht erfahren hat, sich anders verhalten können. Es ist nicht einmal eine ,,certitudo moralis vel practica" durch Induktion allein erreichbar, sondern nur in Verbindung mit folgenden allgemeinen Sätzen, die ihrerseits nicht auf Induk- tion, sondern auf einer „allgemeinen Idee oder der Definition der Begriffe" beruhen. 3) Dieser „propositiones universales" oder ,,adminicula", wie Leibniz sie auch nennt, gibt es drei. 1. Ist die Ursache in allen Fällen ein und dieselbe oder eine ähnliche, so ist auch die Wirkung in allen Fällen 1) Vergl. Batistella 67. 2) G. IV. 160. 3) G. IV. 161 „idea universalis seu definitio terminorum". — 63 — ■dieselbe oder ähnlich. 2. Was man als nicht vorhanden empfindet, nimmt man auch nicht als vorhanden an. 3. Was man als nicht vorhanden annimmt , gilt auch in praxi gleich Null.i) Damit ist dargetan, dass die Kausalurteile und -Schlüsse aus der Erfahrung nur möglich sind unter Zuhilfenahme von letzten allgemeinen und notwendigen Sätzen, mag man diese nun als Axiome oder Postulate der Erfahrung oder «onstwie bezeichnen. 2) ,,Eine vollständige Gewissheit darf man jedoch von der Induktion auch unter Zuhilfenahme von Allgemeinsätzen, ■welche auch immer es sein mögen, nicht erwarten, und den Satz: Das Ganze ist grösser als sein Teil, wird man durch Induktion allein nie vollständig erkennen." Die induktiven Sätze aber können weder als Einzel- noch als Allgemeinurteile an und für sich irgendwelche Ge- wissheit besitzen, nicht einmal moralische, geschweige denn absolute. Denn 1. besteht Gewissheit in der Klarheit der Wahrheit, diese Klarheit aber darin, dass die Bedeutung der Worte vollständig bekannt ist, was nur dann möglich ist, wenn sie durch Definition genau fixiert ist. Induktive Sätze sollen sich aber nicht in Definitionen auflösen lassen; 2. aber können wir, wie gesagt, bei allgemeinen Induktionssätzen, welche nach Leibniz blosse Kollektivsätze sind, niemals wissen, ob wir alle Fälle betrachtet haben. ^) Ferner kann man, so behauptet Leibniz, durchaus nicht zugeben, dass Nizolius die „demonstratio''*), wie sie Aristo- teles dargestellt hat, aus der Wissenschaft verbannt und letzteres mit unrichtigen Argumenten, nämlich besonders, weil sich die ,,universalia" nicht „in rerum natura" fänden und ferner die Interpreten bis jetzt trotz grosser Bemühung 1) ibidem. 1. Si eadem vel per omnia similis est causa, idem "vel per omnia similis est effectus. 2. Existentia rei, quae non senti- tur, non praesumitur. 3. Quidquid non praesumitur, in praxi habeu- ■dum est pro nulle, antequam probetur." 2) Kab. 35. 3) G. IV. 139 u. 161. Dazu vergl. Kab. 34 f. 4) G. IV. lr.9. - 64 — vergebens nach dem Beispiel einer solchen Demonstratio ge- sucht hätten. Was die erste Behauptung angeht, so be- hauptet Leibniz, es genüge „ad demonstrandum", dass die „Nomina" universalia sind. Betreffs des letzten Punktes aber ist Leibniz der gegenteiligen Ansicht, dass man hier und dort in den Aristotelischen Schriften, ja selbst bei Ni- zolius, genauen und vollständigen Beweisen begegne. Wenn Nizolius ferner behauptet, dass man in einem Zeitraum von ungefähr 2000 Jahren nicht habe herausbringen können, welches das „medium potissimae demonstrationis" und welches und wie beschaffen seien „nonnullae particulae in eins defi- nitione appositae", so entgegnet Leibniz hierauf, dass die Natur der Demonstratio zur Genüge erklärt hätten Viottus^ Cornelius Martini, Joach. Jungius und Joh. a Felden, vol- lends alle Mathematiker.^) Nichts sei wahrer und vorzüg- licher erkannt als gerade sie. Leibniz gibt betreffs der Frage nach dem „medium" der Erklärung des Thomas von Aquina Recht, der als „medium'' annimmt ,,utramque definitionen tarn subjecti quam praedicati". Schliesslich bringt auch Leibniz ein Beispiel einer ,,perfectissima demonstratio": „Jeder Körper ist im Räume. Alles, was im Raum befindlich, kann in einem anderen Raum sein (weil es für jeden Raum einen anderen aequale se simile spatium gibt); alles, was in einem anderen Räume sein kann, kann seinen Raum ändern. Was seinen Raum zu ändern vermag, ist beweglich. Also ist jeder Körper beweglich." Die Verwerfung der Dialektik und der Metaphysik, zu der Nizolius auf Grund der Verneinung der Universalien gelangte, ist nach Leibniz' Ansicht einer der grössten Irr- tümer des italienischen Philosophen ; denn auch die Nomina- listen haben an ihnen, indem sie sich auf dieselben Prinzipien stützten, festgehalten.^) Wenn Nizolius behauptet, dass, wenn die Universalien falsch seien, hiermit auch die Dialektik falle, so bezeichnet Leibniz das als nicht richtig.^) Denn nicht weniger hätten 1) N. IV. III. 321. Siehe auch G. IV. 155. 2) G. IV. 159. 3) N. I. VII. 47. - 65 - die Nominalisten als andere sich der aristotelischen Dialektik bedient und das mit Recht. „Denn wenn unter den Be- zeichnungen nur die wahr sind, die gewöhnlich den Dingen beigelegt werden, so steht alles gut, wenn wir jene Namen zur Erklärung der Dinge verwenden." Wenn ferner Aristoteles der Dialektik dasselbe subjec- tum unterlegt wie der Rhetorik, nämlich „omnes res mundi*', so gibt ihm Leibniz im Gegensatz zu Nizolius Recht. Denn das subjectum der Dialektik sei die ,,cogitatio", der Rhetorik der „sermo omnium rerum''.^) Da mithin alle Dinge unter dem Gesichtspunkte des Denkens wie der Rede gefasst werden könnten, so ergebe sich, dass — wie Aristoteles richtig behaupte — sowohl die Dialektik wie die Rhetorik sich mit allen Dingen befasse. Was die Metaphysik angeht, so behauptet Leibniz 2), es könne doch niemand leugnen, dass es „quaedam praecepta pietatis naturalis seu scientiae de summa rerum, id est Meta- physicae" gebe. Wenn Nizolius die Metaphysik deswegen als besonders falsch bezeichnet, weil ihr Gegenstand das „universale universalissimum" d. i. das „ens qua ens" (tö ov •^ öv) als nicht existierend falsch sei, so ist diese „disputatio'' für Leibniz töricht. „Denn es ist dasselbe, zu sagen mit den Scholastikern, das Subjekt der Metaphysik sei das „ens in quantum ens", oder mit Nizolius, das „genus rerum qua res sunt". Nizolius habe auch Unrecht, wenn er die Erklärung der „praedicata generalissima et universalissima" (ens, unum, ali- quid, verum, bonum, actus, potentia u. s. w.) als ,,nomina vel vocabula" der Grammatik und den Lexikographen, nicht aber der Metaphysik zuweist, da nur die Grammatik die Auf- gabe habe, „omnes voces contemplari". Leibniz bestreitet, dass letzteres, nämlich die Behandlung der Worte, die Auf- gabe der Grammatik sei, vielmehr befasse dieselbe sich da- mit, „communia de vocibus tradere". Jedem einzelnen Wissenszweig sei es eigen, die Ausdrücke zu geben und zu 1) N. III. V. 223. 2) G. IV. 159. iienaiü.sHiH'o luid Philosophie. Heft V. - 66 — erklären (tradere voces et explicare), mit denen er sein sub- jectuni und dessen Teile, species und affectiones, bezeichnen will. Die Lexika aber seien nichts weiter als Exzerpte aus verschiedenen Wissenschaften alphabetisch geordnet. ,,Wenn endlieii Nizolius behauptet, die Metaphysik be- sitze keine Syllogismen, Induktionen und Modi „argumen- tandi"*), sondern raüsste diese alle entweder der Dialektik oder der Rhetorik entleihen, so könnte man mit demselben Rechte sagen, dass auch die Physik nichts beweise, die ja ebenfalls ihre Argumente den Dialektikern und Rhetorikern entl-ehnt". Mit all seinen Angriffen bringt Nizolius, wie Leibniz sagt, nichts vor, was die Prinzipien der Dialektik und Metaphysik erschüttern könnte, Nizolius teilt 2) die ganze „encyclopaedia" mit Ausschluss der Metaphysik und Dialektik in zwei grosse Hälften, die „pars philosophica" und ,,p. oratoria", sive ,,sapientia et eloquentia", die beide ein und dieselbe ,, facultas" aus Sachen und Worten gleichsam wie aus Körper und Seele bestehend ausmachen. Die Philosophie teilt er wiederum in die ,,philosophia naturalis" oder Physica und die „philosophia civilis sive Po- litica'^ Die Oratoria lässt er ungeteilt, und kommt somit im Prinzip auf die Dreiteilung der Alten in Physik, Ethik und Logik zurück, nur dass er statt der Ethik die Politik, die die Ethik als Teil unter sich fasse, und an Stelle der griechischen ,, Logice" die nach seiner Ansicht ent- sprechende lateinische Bezeichnung „Oratoria" setzt (Logice nicht von XoYiC^tv, sondern von Xo^o? ; daher oratoria !). Diese drei Teile zerfallen nun wieder — die Physik in die Theo- logie(!), Meteorologie, Geographie, Physiologie u. s. w. •, die Politik in die Ethik, spezielle Politik, Oekonomik, Jus civile u. s. w. ; die Logik (Oratoria) in Grammatik, Rhetorik, Poetik, Historik u. s. w.^) Hierauf hat Leibniz zu sagen, dass ein Festhalten an der Drieteilung nicht hindere, die Teile derselben genauer 1) N. III. V. 251. 2) N. III. III. 204 ff. 3) N. a. a. 0. 216. — 67 — zu scheiden und der Dialektik getrennt von der Rhetorik, wie es auch für die Grammatik gelte, ebenso der Metaphysica seu Theologia getrennt von der Physik, wie auch für die Mathematik, eine Stelle anzuweisen. 0 Allerdings ist Leibniz mit Nizolius darin eins, dass, wie die Meinung derer nicht gebilligt werden dürfe, die die ,,Oratoria" von der Rhetorik trennen und jener die Lehren über die Erregung der Affekte, dieser diejenigen über die Feinheit der Ausdrucksweise zuschreiben wollen, so man umgekehrt denen beistimmen müsse, die zu- gleich die Lehre des Denkens und der Redeweise (praecepta cogitandi et genus dicendi) als Teile der Logik angesehen wissen wollen, da ja ein jeder Akt des Denkens und Wollens mit Worten verknüpft und in ebendenselben Regeln zugleich die Art und Weise, den Affekt zu erregen, als auch die Ge- danken zu regieren und die Vorschriften, hierzu die passenden Worte zu wählen, enthalten seien. 2) Nizolius fordere daher mit Recht in der Behandlung der Logik eine ,,exacta ratio dicendi". Leibniz glaubt nach genauer Erwägung folgende schöne Harmonie der Wissenschaften erkannt zu haben 3), indem ihm die Theologie oder Metaphysik handelt de rerum Effi- ciente nempe Mente, die Ethik de rerum Fine nempe Bono (die Philosophia Moralis seu Practica seu Civilis ist ihm ein und dieselbe Wissenschaft), die Mathematik (und zwar die reine, die übrige ist ein Teil der Physik) de rerum Forma nempe Figura, die Physik de rerum Materia et Motu. Nizolius behauptet, wenn die üniversalien zugestan- denermassen richtig wären, so könnte es nur eines geben, nämlich das genus*); von den übrigen vier sei die species gar kein Universale, da es ,,ut species" eben immer ,,8ur- sum" zum genus emporblicke, niemals aber „deorsum ad aliqua sibi subjecta". Ferner sei die differentia nichts anderes 1) G. IV. 150. 2) Vergl. pg;. 37 dieser Abhandlung:. 3) G. a. a. 0. 4) N. I. IX. 76 ff. — 68 — als ein genus differens, das proprium ein genus proprium^ das accidens ein genus accidens d. h. die drei letzten Univer- salien liessen sich auf das genus zurückführen. Denn im allgemeinen Sprachgebrauch sei es richtiger zu sagen „homo est in genere rationalium raortalium" als „in difFerenti» rationalium et in difFerentia mortalium". Leibniz ist gegenteiliger Ansicht, i) Er hält es für nicht richtig, zu sagen : ,,homines in genere rationalium mortalium contineri", weil das genus hominum und das genus rationalium mortalium einen gleich weiten Umfang haben. Das genus huma- num könne daher keine species sein zum genus rationalium mortalium. Es müssen ferner nach Leibnizens Ansicht durchaus Nomina universalia angenommen werden. „Das Universale ist entweder Subjekt und heisst als solches species, oder aber Prädikat. Letzteres ist entweder notwendig oder zufällig. Das notwendige Prädikat ist entweder species „Totius" und heisst genus, oder ihm äqual und heisst differentia, oder aber enger und heisst proprium. Das zufällige nennt sich accidens." Im engeren und eigentlichen Sinne unterscheidet Leibniz allerdings nur zwei Universalia, nämlich genus und species.^) Die übrigen drei, die Adjektiva seien, seien praedicabilia, keine „universalia". Nicht das Rationale ist ein Universale,^ sondern nur das „Ens rationale". Unter seinem ,,g e n u s" versteht Nizolius aber, wie früher dargelegt, als einer multitudo singularium ein „nomen appellativum collectivum sive comprehensivum"^) und „totum discretum ex omnibus suis speciebus tam individuis quam dividuis compositum".^) Dieses genus, eine Gesamtheit von Einzeldingen, über das sich, wie Nizolius lehrt, allein Wissen- schaften aufstellen lassen, hat immerwährenden Bestand. Das^ genus rosarum existiert immer, ist gewesen und wird sein, auch wenn es ,,in praesentia" keine Rosen geben sollte. Für Leib- niz ist dieses genus rosarum, das gleich der multitudo rosarum 1) N. I. IX. 77. 2) N. I. VI. 44. 3) N. II. I. 97. 4) ibidem ^4. — 69 - praeteritarum, praesentium , et futurarum omnium simul «umtarum sein soll, gar nicht denkbar, da es nicht existiere; <lenn unmöglich könnten „praeterita et futura simal sumta"^) existieren. Bezüglich des Verhältnisses von genus und species be- kämpft Nizolius die Ansicht des Aristoteles, dass ein genns und dessen species immer derselben Kategorie angehören müssen. 2) Er glaubt diese Behauptung des Aristoteles ein- schränken zu sollen auf das genus essentiale, nicht aber treffe sie zu beim ,, genus accidentale et extraneum". Hier könne die Sache einer Kategorie genus der Sache einer anderen Kategorie sein, und man könne z. B. richtig sagen : cygnum esse in genere alborum. Hierzu bemerkt Leibniz : ,, Konkreta, nicht Abstrakta verschiedener Kategorien, können sich gegenseitig genus sein. Die concreta qualitatum (albus) gehören aber nicht zu den Kategorien der Qualitäten, sondern der Substanzen. Denn was ist doctum anderes als eine docta substantia! Einige jedoch sind auszunehmen (wie bonum), die auch richtig in concreto de accidentibus abstractis ausgesagt werden können, z. B, virtus est bona, nicht virtus est bonitas. Ausserdem verhalten sich die „relationes" zu den ,,qualitate3" wie die ,,modi'' zu den „substantiae". Daher heisst es richtig : ,, virtus est similis scientiae, nicht similitudo." Ebenso erklärt Nizolius die Ansicht des Aristoteles, dass alle genera „essentialia et inseparabilia a suis speciebus" seien, für falsch und nichtig, da auch dies wiederum nur gelte für die „genera essentialia", wie z. B. das genus animalium gegenüber homines. Dagegen träfe diese Notwendigkeit nicht zu bei den genera accidentalia et extrinseca. Obgleich das Wasser, wenn es warm sei, zum „genus calidorum" gehöre, so könne man doch das „calidum" (genus accidentale) vom Wasser (species) trennen und letzteres in den gegenteiligen Zustand des „frigidum" verändern, so dass dieses „frigidum'' nun- mehr genus des Wassers werde. 1) N. II. I. 111. 2) N. IV. I. 291. - 70 — Leibniz ist der Ansicht, dass es sogar nach den Nizo- lianischen Prinzipien wahr bliebe, dass das genus von seinen species nicht trennbar ist. „Denn species von cahdum ist nicht aqua, sondern aqua calida. Nunmehr würde, wenn- gleich „calidum esse'' sich trennen lässt, der Satz, dass „calida" aqua auch nicht warm sein könnte, zu einem Wider- spruch führen".!) Nizolius behauptet, dass die species kein Universale sein könne, indem sie kein subjectum habe, sondern immer selbst subjectum eines genus sei. Es verhalte sich die species zum genus wie pars zum totum, jedoch nicht dem totum conlinuum, sondern dem totum discretum ; also könne man sagen, species ist gleich pars totius discreti. Diejenigen species, die nicht weiter teilbar sind, wie Socrates, nennt Nizolius „species spe- cialissimae et indivisibiles". Leibniz bezeichnet die Gleichsetzung der species mit pars totius discreti als falsch, indem er bemerkt, ein Soldat könne doch gewiss nicht species des Heeres genannt werden.^) Bezüglich des proprium bekämpft Nizolius die An- sicht des Aristoteles, wenn derselbe lehre, dass das proprium immer bekannter sein müsse, als der Gegenstand, dem es zukommt, während doch im Gregenteil nur ein ,,mente captus" behaupten könne, dass z. B. das „gannire" bekannter sei als „vulpus" und „hinnire" bekannter als „equus". Auch hier gibt Leibniz 3) dem Aristoteles Recht. „Immer sind die „propria" Merkmale von Dingen und müssen als solche bekannter sein als die Dinge. Wer einen Fuchs und einen Hund zugleich sieht, unterscheidet diesen von jenem durch die Eigentümlichkeit der Figur; wer beide zugleich hört, unterscheidet sie durch den Unterschied des ,,gannitus". Auch bei jeglichem anderen Unterschiede durch propria vel difFerentiae sind in jedem Falle die propria bekannter." In betreff der propria behauptet Nizolius ferner, dass nur durch solche „ex authoritate Ciceronis et Q u i n t i 1 i a n i" 1) N. IV. I. 289. 2) N. II. II. 116. S) N. IV. I. 299. - 71 — die Deliniiton konstituiert würde, nicht aber, wie die Dialek- tiker glaubten, durch difFerentiae; vielmehr würde sie durch letztere aufgelöst. Leibniz bezeichnet diese Ausführungen des Nizolius als einen Kampf um Worte und Haarspalterei (Vitilitigatio) ^) Denn was für die species das proprium sei, dasselbe werde als „differeutia" gegenüber dem genus verstanden. Es sei also ein und dasselbe, zu sagen, die species wird definiert „per genus et proprium suum'', oder sie wird rlefiniert ,,per genus et differentiam generis". Im Anschluss hieran befasst sich Nizolius eingehender mit der D e f i n i ti on. Wie jedes ,,pioblema de proprio, de differentia, de accidente", so ist ihm auch das „problema de definitione" nichts anderes als ein ,. problema de genrre'', weil das genus untrennbar mit ihm verknüpft sei. In dem Satze: homo est animal rationale mortale ist ihm das „animal ratio- nale mortale" mehr ein genus als eine delinitio, da man viel eigentlicher sage : hominem esse in ,,genere'' als in ,,de- finitione" animalium rationalium mortalium. Daher habe Aristoteles mit Unrecht genus von differentia, proprium, accidens und definitio getrennt, obwohl doch letztere gleichsam species generis s-ien Leibniz erwidert hierauf, dass, wenn auch fast jedes praedicatura ein genus sei, so dennoch nicht ein genus, das sein subjectum gleichsam als species enthalte. Genau wie die Wissenschaften und Künste, so dürfen sich nach Nizolianischer Ansicht auch die Dt-finitionen nur mit den Einzeldingen befassen aus den früher dargelegten Gründen. Also gehören die Definitionen im eigentlichen Sinne zu den res, nicht zu den nomina und voces. ,,Die wahre ,,esseutia", die durch die Definitionen zu erklären ist, liegt nämlich nicht in den Worten des Mundes oder in den Begriffen des Verstandes, sondern ausserhalb des Bereiches derselben in den Dingen selbst".-) Leibniz ist anderer Ansicht und behauptet: ,,Die Definition ist nichts anderes als eine ,,accurata nominis expli- 1) N. IL V. 148. 2) N. II. I. f6. - 72 — catio" oder, wie er an anderer Stelle ^) sagt, „definitio nihil aliud est quam significatio verbis expressa seu brevius significatio significata". Damit ist die Definition für Leibniz nichts anderes als Worterklärung ; demnach wäre alle Definition Nominaldefini- tion, wie sie dies und nur dies auch wirklich im eigent- lich logischen Sinne ist. Leibniz unterscheidet aber von dieser Nominaldefinition im logischen Sinne die Realdefinition in der Metaphysik, die stets Kausaldefinition sein muss.*) Auch könne man nicht, wie Nizolius dies tue, von einer falschen Definition sprechen ^), vielmehr nur von einer „defi- nitio inepta aut mala'' ; denn auch der wahrste Satz sei, wenn er nicht umkehrbar ist, noch keine Definition. Recht aber gibt Leibniz dem Nizolius, wenn er die Lehre des Galenus, dass die Definition „essentiam totius rei defi- nitae" erklären müsse, bestreitet und behauptet, dass diese „essentialis" definitio weniger eine Definition als eine „expli- catio et enumeratio quaedam omnium causarum et qualitatum rei" sei und als solche viel Ueberflüssiges enthalte. Es genüge für die Definition eines zu definierenden Dinges, wenn letzteres zuerst in sein genus commune und dann in sein genus proprium ac privatum gesetzt werde. Beispiele von definitiones perfectae, die in dieser Weise ex genere communi et genere proprio hervor- gehen, fänden sich in der Mathematik, z. B. „das Dreieck ist eine Figur mit drei Winkeln, die gleich zwei Rechten sind". Hierin sei figura das genus commune, habere tres angulos aequales tribus rectis das genus proprium. Diese Definition einschränkend, behauptet Leibniz^): „So würde kein Mathematiker das Dreieck definieren. Es genügt zu sagen, das Dreieck ist eine Figur von drei Winkeln, woraus man ohne weiteres schliesst, dass dieselben, da sie das Dreieck schliessen, gleich zwei Rechten sind". Als vollendete Definition der Künste und Wissenschaften gibt Nizolius folgende : scientia est cognitio rei vel rerum 1) G. IV. 140. 2) Vergl. Kab. 31 ff. 3) N. II. V. 152. 4) ibidem 149. — 73 — scitu dignarum, cognitu difFicilium et vulgo ignotarura, worin cognitio genus, die übrigen Teile propria seien. Auch diese Definition schränkt Leibniz ein ^), indem er das letzte proprium für überflüssig erklärt; denn was schwierig zu erkennen sei, das sei im gewöhnlichen auch unbekannt. ß) Die Prädikamente. Nizolius nimmt ferner mit den Prädikamenten^j ■(Kategorien) eine Umänderung vor. Aristoteles nahm deren bekanntlich 10 an: Substanz, Quantität, Qualität, Tun, Leiden, Lage, Haben, Wo, Wann und Relation. Nizolius statuiert zunächst eine Zweiteilung. Sein genus generalissimum, d. i. das genus rerum, zerfällt in zwei species oder Formen, in Substanzen und Qualitäten. Letztere unterscheidet er als genus und species. Die qualitas generalis umfasst neun species oder accidentia und zwar 1. die qualitas ut species, 2. quantitas, 3. actio, 4. passio, 5. causa, 6. locus, 7. tempus, ■8. situs, 9. habere. Leibniz bemerkt zu diesem Qualitätenunterschied des Nizolius: „Es gibt nicht zwei Qualitäten, sondern zwei Auf- fassungen des Wortes Qualität. Die ,, qualitas generalis'* möchte ich lieber des Unterschiedes halber „modus" nennen. Denn wer dieselben Ausdrücke in verschiedenem Sinne ge- braucht, der muss tropisch werden, was ein Philosoph zumal bei Konstituierung der wichtigsten Ausdrücke nicht darf." Den Ausdruck „Modus" zieht Leibniz dem des „Accidens" vor, weil sich viele Modi vom Subjekt nicht trennen Hessen ohne Korruption des letzteren, z. B. die Wärme vom Feuer. Als fünfte Kategorie führt Nizolius die causa an. Er will unter ihr verstanden wissen die „authores sive causae «fficientes", die ,,materiae rerum'* und die „fines sive causae finales". Zu dem Begriff der Relation, dem :rpö:; t: des Aristoteles, bemerkt Nizolius, dass letzterer diese Kate- gorie mit Unrecht als gesondert von den übrigen Akzidentien 1) N. II. V. 150. '2) N. II. IX, X, XI. 168 ff. - 74 - getrennt habe, da sü gut wie keine Qualität so absolut existiere, dass sie nicht in Beziehung gebracht werden könne. Aristoteles habe, indem er diese überflüssige Kategorie setzte, zug^leich den Fehler begangen, dass er die Kategorie der , causa'' fortliess. Denn, wenn man ihn fragen würde, zu welcher Kategorie z. B. „esse marmoreum vel ligneum" (in domo) gehöre, so würde er dies nicht erklären, noch auch auf irgend eine Kategorie zurückführen können. El)enso habe Aristoteles auch in anderen Teilen manches ausgelassen, z. B. in der qualitas specialis das „esse divitem vel pauperem, nobilem vel ignobilem", d. h. „statum et conditionem perso- narum aliarumque rerum", was sich offenbar auf keine Aristo- telische Kategorie zurückführen lasse. Demgegenüber bemerkt Leibniz, dass sicli „dives" auf „nummus", „nobilis" auf „parentes" zurückführen lasse, und beide daher keine Qualitäten, sondern Relationen seien. Ebenso würde auch Aristoteles jenes „marmoreum vel lig- neum" auf die Kate:^orie ;rpö<; Tt zurückführen. Nizolius aber habe mit Unrecht die Relation durch die „causa" ersetzt. Einerseits hätte er wie der „actio" die ,,passio' , so seiner ,, causa*' gegenüberstellen müssen den „effectus". Anderei'- seits sei causa Substanz, dagegen die relatio seu causalitas Modus. Endlich gehöre die causa efticiens zur actio, die causa materialis zur passio, die causa finalis überhaupt zu keiner Kategorie. Denn die Kategorien stellen sich im Sinne Leibnizens dar als die wirklichen Weisen, in welchen das endliche Sein unabhängig vom menschlichen Denken in sich besteht und infolgedessen prädiziert wird. Die „finis" aber existiert noch nicht, sondern wird vielmehr erstrebt. Ueberhaupt behält Nizolius nach Leibnizens Ansicht die neun species accidentium des Aristoteles im ganzen bei, nur dass er die ,, qualitas" der ,,quantitas" vorangehen lässt, — und das allerdings nicht unrichtig — , ferner die causa einsetzt für die relatio, letzteres aber mit Unrecht; denn die Relation der Aehnlichkeit ist unter der Relation der Kausalität nicht ent- halten. Ferner setzt er statt des ,,Quando" und ,,Ubi" ,,seu localitas et duratio", welches Akzidentien sind, ,, locus'' und ,,tempub", welche substantiellen Charakter tragen. Es — 75 — blieben nämlich „locus'' und „tempus" bestehen auch wenn „omnia locata et durantia" aufgehoben seien, daher würden sie auch in substantivischer Form ausgedrückt.^) Y) Die Transzendentalien. Die letzte „destruktive" Tat des Nizolius ist die Ver- werfung der sechs Aristotelischen Transzendentalien: ens, unum, aliquid, verum, bonum, res. 2) Eingehender befasst sich Nizolius nur mit dem ersten, auf das ja die übrigen sich zurückführen Hessen. Wie bereits früher dargelegt, ist für Nizolius das ens als das universale universalissimum auch das falscheste aller Universalien. Nizolius versteht, wie unter jedem, so auch dem höchsten Allgemeinbegriff nichts anderes als die Gesamtheit der unter diesem Namen zusammenge- fassten Einzeldinge. Der in dieser Weise allgemeinste Begriff ist ihm aber nicht das „ens", sondern „res" (im figürlichen Sinne für omnes res), welch letzteres als ,, verum summum ac generalissimum genus" „omnia inferiora ac pene innume- rabilia genera" enthält. Es zerfällt dies oberste genus nach Nizolius in substantias (res naturaliter per se stantes) und qualitates et accidentia (res in alio existentes). Diese sind, sowohl die Substanzen wie die Qualitäten, entweder Einzel- dinge oder Kollektionen, tota, von solchen.^) Das Wort res sei überdies allgemeiner als ens, da mit res nicht nur be- zeichnet werde ,,quae sunt", sondern auch „quae non sunt". Dieser letzten empiristischen Konsequenz, die vom Sen- sualismus kaum mehr einen Schritt entfernt ist, tritt Leibniz nachdrücklich entgegen. Er behauptet: „jedes Ding ,,est", und alles, was res ist, und alles, was existiert, ist ein Ens; es ist daher im Gegenteil jedes ein Ens, daher auch jedes Ding (res). Ein Ding, das nicht „est", ist eine res ficta, oder etwas, das res genannt wird, aber nicht ist. Ausser- dem ist im Sprachgebrauch der alten Lateiner Res enger als Ens (=es8e)." 1) Verg-L Bat. 64 f. 2) N, IL Vlll. 1G3 ff. 3) N. I. VI. 40. — 76 - „Die Qualitäten aber nennt man nicht res, sondern Modi rerum. Daher sagt man am besten so; Irgend etwas (aliquid) ist entweder ein ens, oder ein non ens. Das ens aber ist entweder res oder modus." Die Substanz wird nach Nizolius bezeichnet durch ein Substantiv, die Qualität durch ein Adjektiv. Ersteres ant- worte auf Quid, letzteres auf Quäle, i) Nun darf man auf <^uid est horao? auch antworten: Rationale. Denn letzteres ist nach seiner Ansicht in diesem Falle kein adjectivum differentiae, sondern ein nomen substantivum generis, ein substantiviertes Adjektiv ähnlich Animal. Denn wie Animal <iurch Apokope entstanden sei aus dem Neutrum des Adjek- tives ,,animalis'*, nämlich animale, so könne man in analoger Weise auch sagen Rational statt Rationale, In diesem Sinne ist also Rationale als Substantiv zu fassen. Leibniz hingegen statuiert zwischen Substantiv und Ad- jektiv einen anderen Unterschied, nämlich den, dass in ersterem tö Ens vel Res (primura substantivum) enthalten sei (inest), im Adjektiv dagegen per Ellipsin ausgelassen und <iaher im Geiste zu ergänzen sei. Es sei also der Satz : homo est rationale figürlich und elliptisch; hinzuzudenken (subintelligendum) sei nämlich ens, oder etwas ähnliches. Wie aus capitale (sc. crimen) Capital, aus animale (sc. ens) Animal durch Apokope entstanden, ähnlich könne man aus rationale Rational hervorgehen lassen. Und dann könnte man richtig antworten auf : Quid est homo ? est Rationale aber auch rationale, jedoch nur wenn ,,ens" hinzugedacht werde. Auf Quäle (sc. ens) oder Qualis est homo? laute die Antwort: Rationale bezw. Rationalis. In seinem Briefe an Thomasius lässt Leibniz die essentia von der qualitas sich nur unterscheiden durch die relatio ad sensum^). Ebendaselbst nimmt er vier entia an: Verstand, Raum, Materie und Bewegung, ausser denen es keine in der Welt gebe.3) ,,Mens est ens cogitans, Spatium est ens primo extensum, seu corpus Mathematicum, quod scilicet nihil aliud 1) N. I. V. 35 ff. 2) G. IV. 171. 8) ibidem. continet quam tres dimensiones, estque locus ille universalia omnium rerum; Materia est ens secundo extensum . . . est ens quod est in spatio coextensum; Motus est rautatio spatii." Aus der ganzen Darstellung geht hervor, dass Nizolius^ wie auch Leibniz bemerkt i), sich als Ziel und Aufgabe seiner Untersuchung gestellt hat: Die Zerstörung der Metaphysik und zwar der Metaphysik der Pseudophilosophen. Zu letzteren rechnet er als ihr Haupt den Aristoteles, ferner dessen Interpreten, soweit sie über Dialektik und Metaphy- sik handeln. Was die Echtheit der Aristotelischen Schriften angeht, so ist Nizolius der Ansicht, dass nach dem Zeugnis vor allem des Cicero, Laertius und Suidas feststehe, dass die Aristotelischen Schriften in der Form, wie sie ihm vor- lägen, keinesfalls aristotelisch oder von Aristoteles abgefasst seien, sondern vielmehr von einem anderen aus den wahren Schriften des Aristoteles ausgezogen und in die epitomae und compendia, die augenblicklich vorlägen, gebracht wären, in dem vieles hinzugefügt, weggelassen und nach Belieben ver- ändert worden sei, sodass nicht die ,,vera, germana", sondern eine ,,spuria et adulterina doctrina" des Aristoteles vorliege. 2) Als Autor der falschen Schriften, die unter dem Namen des Aristoteles gehen, sieht Nizolius den Nicomachus an, des Aristoteles Sohn. Ihm müssten zugeschrieben werden : die zehn Bände der Ethik, die acht Bücher Physik (nach Cicero) und die Bücher „de Prioribus et Posterioribus Analyticis". Ganz unbestimmt sei die Ueberlieferung der metaphysischen Schriften. Man sei nicht über die Zahl derselben einig. Einige kennen nur 11, andere 14, wieder andere 24. Plinius nehme 50 Bücher de animalibus an, während heute nur \i^ vorlägen und diese verderbt. Seine Ansiclit über Aristoteles fasst Nizolius schliesslich dahin zusammen, dass er ihn ^) für einen grossen und ausgezeichneten Mann hält, jedoch nicht bezüglich aller Schriften, sondern nur in der Rhetorik, Ethik, Politik, Oekonomik und den Büchern de animalibus, sowie in vielen der res naturales. In den übrigen Schriften, vor 1) Q. IV. lf>7 2) N. IV. VI. 334 ff. ■a) N. IV. VII. 345. — 78 — allem den dialektischen, und metaphysischen und wo immer er handele von seinen mehr als monströsen genera, species, secumlae substantiae. universalia realia,abstractio, demonstratio u. s. w., verdiene er den höchsten Tadel. In summa be- hauptet er von Aristoteles : ubi bene dicit nihil melius, ubi male nihil peius posse excogitari,^) Auch diese Ansicht des Nizolius teilt Leibniz durchaus nicht. Er behauptet im Gegenteil, dass er fest überzeugt sei von der genuitas operum Aristoteleorum, was auch sagen mögen Nizolius, Picus, Petrus, Ramus u. a. Die Gründe, die Nizolius angibt, sind ihm nicht durchschlagend. Cicero, auf den sich Nizolius in erster Linie als Gewährsmann stütze, könne nicht als solcher gelten. Denn es sei nicht verwunderlich, dass ein Mann wie Cicero als Politiker und Vielbeschäftigter (infinitis curis obrutus) die Gedanken gerade der feinsinnig- sten Philosophen (subtilissimi cuiusdam Philosophi) flüchtig gelesen und daher nicht genügend verstanden habe. ,, Cicero (hie) duo dicit, primum communem esse sententiam quod sint Aristotelis, deinde non negat esse Aristotelis, sed saltem con- icit, posse fortasse esse filii. Haec vero a possibili coniectura communi illorum quoque temporum sententiae nihil praeju- dicare debet".^) Ihm (Leibniz) selbst ist die Echtheit der Aristotelischen Schriften vollständig verbürgt durch jene „perfecta hypothe- sium inter se Harmonia et aequalis ubique methodus velo- cissiraae subtilitatis". In seinem Briefe an Thomasius') „De Aristotele recentioribus reconciliabili" schreibt Leibniz: ,,Quae Aristoteles de materia, forma, privatione, natura, loco infinito tempore, motu, ratiocinatur, pleraque certa et demonstrata sunt, hoc uno fere demto, quae de impossibilitate vacui et motus in vacuo asserit. . . De cetero reliqua pleraque Ari- stotelis Disputata nemo fere sanus in dubium vocabit." 1) N. 1. c. 346. 2) N. IV. VI. Adnotatio. 3) Q. IV. 164.
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