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Friday, June 7, 2024

Grice e Nizolio

 Nizolius. 

Marius  Nizolius  stammt  aus  Brescello  in  der  Provinz 
Reggio  d'Emilia.^)  Als  Geburtsjahr  wird  allgemein  das  Jahr 
1498  und  als  Todesjahr  1576  angegeben.  Indes  ist  diese  Be- 
rechnung nach  der  Untersuchung  Batistellas  auf  Grund  in- 
schriftlicher Argumentation  um  ein  Dezennium  zu  spät  ange- 
setzt. Demzufolge  lebte  Nizolius  in  der  Zeit  von  1488  bis 
1566.2)  Ueber  seine  ersten  Lebensjahre  und  Studien  ist 
nichts  bekannt.  Im  Jahre  1522  finden  wir  ihn  am  Hofe 
des  Grafen  Gambarra,  eines  eifrigen  Beschützers  und 
Pflegers  der  Wissenschaften.  Ihm  widmete  auch  Nizolius 
seine  erste,  im  Jahre  1535  abgefasste  Schrift,  die  Observa- 
tiones  in  M.  Tullium  Ciceronem".  Nachdem  er  eine  lange 
Zeit  als  Hauslehrer  in  der  gräflichen  Familie  tätig  gewesen, 
kam  er  im  Jahre  1547  als  Professor  an  die  Universität  zu 
Parma.  Im  Jahre  1562  wurde  er,  bereits  74  Jahre  alt,  als 
Leiter  an  die  von  dem  Herzog  Vespasiano  Gonzaga  neu- 
errichtete Universität  zu  Sabbioneta  berufen.  Nizolius  war 
damals  ein  weithin  berühmter  Gelehrter  :  „un  vecehio  consu- 
raato  negli  studi  delP  eloquenza  e  della  filosofia,  chiaro  per 
molte  opere,  vittorioso  neue  concertazioni  letterarie  e  per 
lungo  usu  di  leggere  suUe  cattedre  delle  cittä  piü  cospicue 
praticissimo  .  .  .,  di  cui  la  memoria  nei  fasti  dell'  italica 
letteratura,  non  perirä  giammai."^)  Altersschwäche  und  ein  sich 
immer  mehr  verschlimmerndes  Augenleiden  hemmten  den 
Greis  gewaltig  in  dem  schweren  Berufe,  den  er  auf  sich 
geladen  hatte.  Schon  nach  4  Jahren  (1566)  ereilte  ihn  der  Tod, 
ob  zu  Sabbioneta,  oder  in  seiner  Heimat  Brescello,  lässt  sich 
nicht  bestimmen.*) 


1)  Vergl.  Jöcher,  Gelehrtenlexicon  sub  Nizolio  III.  962  xl  V. 
760—61  (Suppl.),  der  sehr  ung'enau  ist.  Ausführl.  biographische 
Notizen  bringt  Ruggero  Batistella :  Mario  Nizolio  op.  cit.  '61  ff. 

2)  Batist  31. 

3)  Bat.  36. 

4)  Bat.  33. 


—  29  — 

Die  Tätigkeit  des  Nizolius  erstreckte  sich  zunächst  nur 
auf  das  Gebiet  der  klassischen  Sprachen.  Er  beschäftigte 
sich  mit  der  Interpretation  griechischer  und  lateinischer 
Autoren,  vor  allem  des  Cicero. i)  Mit  rastlosem  Fleiss  ver- 
band er  einen  kritischen  und  vor  allem  natürlichen 
Sinn. 2)  Aus  dem  letzterem  Umstand  erklärt  sich  auch  wohl 
der  realistische  Standpunkt,  den  er  in  philosophischer  Hin- 
sicht verfocht.  Zu  eigentlich  philosophischen  Spekula- 
tionen kam  Nizolius  erst  spät  und  zwar  durch  einen  mehr 
äusseren  Umstand. 

Während  seines  Aufenhaltes  zu  Parma  geriet  er  in 
einen  heftigen  Streit  mit  Marco  Antonio  Majoragio,  Professorder 
Eloquenz  an  der  Universität  zu  Mailand.^)  Es  handelte  sich 
in  der  Hauptsache  um  zwei  Fragen :  Lateinischer  Stil  und 
Philosophie,  Cicero  und  Aristoteles.  Majoragio  war  wie 
Nizolius  ein  grosser  Verehrer  Ciceros,  jedoch  zog  er  der 
eklektischen  Philosophie  desselben  die  reine  Lehre  des  Aristo- 
teles vor  und  vertrat  die  Ansicht,  dass  man  die  Philosophie 
Ciceros  mit  der  des  Aristoteles  in  Einklang  bringen  könne. 
Nizolius  dagegen  strebte  dahin,  den  Aristoteles  für  immer  zu 
verbannen,  indem  er  mit  Ueberzeugung  den  Standpunkt  von 
der  falschen  und  unnützlichen  aristotelischen  Doktrin  vertrat.*) 
Diesem  Streit,  der  auf  beiden  Seitem  unerbittlich  und  un- 
würdig geführt  wurde,  machte  schliesslich  der  Tod  Majo- 
ragios (1555)  ein  Ende.^) 


1)  Bat.  37  ff.    Le  opere  ei  giudizi  dei  eritici. 

2)  Bat.  1.  c.  37. 

3)  Bat.  La  polemica  con  M.  Antonio  Majoragio  33  ff.  vergl. 
femer  Gerh.  Phil.  IV.  135  und  Nizolius  in  seiner  Vorrede  zum  An- 
tibarbarus :  Ad  Lectores  contra  Majoragium. 

4)  Bat.  34. 

5)  Bat  35.  Nizolius  soll  in  zehn  Jahren  nicht  recht  haben 
schlafen  können  !  (Jöcher  a.  a,  0.)  ,,nou  solum  calamo  et  chartis  ve- 
nenatisimis,  sed  etiam  putrido  et  foetenti  illo  ore  suo  contra  vitam 
et  mores  nostros  usque  in  hunc  diem  deblateravit  et  deblaterat" 
(Nizolius  ad  lectores  in  De  veris  principiis).  „ipse  (Maj.)  qui  licet, 
de  magnis  et  obscuris  Philosophiae  rebus  loqui  conetur,  tarnen 
vere  est  acocfoc,  et  tantum  seit  de  Philosophia,  quantum  asinus  de 
Musica"     (Vorrede). 


—  30  - 

Majoraj^io  hatte  auf  die  Angriffe  des  Nizolius  eine 
,,Apologia"  erscheinen  lassen,  die  Nizolius  mit  einer  ,,Anti- 
apologia"  erwiderte.  Es  folgte  nun  seitens  Majoragios  „Re- 
prehensionum  libri  duo  contra  M.  Nizoliura",  worauf  Nizolius 
mit  seinem  Antibarbarus  Philosophicus  antwortete.  Seine 
AngriflFe  fasste  Nizolius  dann  noch  einmal  zusammen  in  seiner 
Schrift :  De  veris  principiis  et  vera  ratione  philosophandi 
contra  Pseudophilosophos 

In  der  Hauptsache  war  Nizolius  mehr  gelehrter  Hu- 
manist als  philosophischer  Denker  oder  Kenner  der  älteren 
Philosophie.  Sein  Eifer  für  die  Beförderung  der  klassischen 
Latinität  veranlasste  ihn  zur  Abfassung  einer  Reihe  von 
Werken,  die  uns  ein  Bild  geben  von  seiner  bewunderungs- 
würdigen Arbeitskraft.     Nur  die  wichtigsten  seien  genannt. i) 

Als  sein  Hauptwerk  ist  wohl  anzusehen  ein  Thesaurus 
sive  Latinae  linguae  Lexicon,  das,  wie  auch  die  meisten  der 
anderen  Werke,  zahlreiche  Neuauflagen  erlebte.  Das  ge- 
nannte Werk  war  bereits  1535  unter  dem  Titel  Observa- 
tiones  in  M.  TuUium  Ciceronem,  dann  als  Apparatus  latinae 
locutionis  und  endlich  als  Thesaurus  Ciceronianus  in  Vene- 
dig 1538  und  1551,  und  erweitert  von  Basilio  Zanchi  1570 
gedruckt  wonien,  1613  erschien  es  zu  Frankfurt  und  1734 
zu  Padua  mit  beigedruckten  Ciceronianischen  Phrasen,  die 
nicht  von  Nizolius  stammen. 2) 

Ausserdem  verfasste  er  die  bereits  erwähnte  ,,Antiapo- 
logia  pro  M.  Tullio  Cicerone  et  Oratoribus"  contra  M.  An- 
tonium  Majoragium  Ciceromastigen'',  ferner  ,,Defensiones 
locorum  aliquot  Ciceronis  contra  disquisitiones  Coelii  Calcag- 
nini"  (Venedig  1557)  und  übersetzte  aus  dem  Griechischen 
ins  Lateinische  „Galeni  explanatio  obsoletarum  vocum 
Hippocratis*.  In  das  Jahr  1553  fällt  die  Herausgabe  des 
Werkes,  welches  das  vollständige  philosophische  System  des 
Nizolius  enthält  und  mit  vollem  Titel  lautet :  De  veris  prin- 
cipiis et  vera  ratione  philosophandi  contra  Pseudophilosophos 
libri  IV,  in  quibus  statuuntur  ferme  omnia  vera  verarum  ar- 


1)  Bat.  37  ff. 

2)  Bat.  3a 


—  31  — 

tium  et  scientiarura  principia,  refutatis  et  rejectis  prope  Om- 
nibus Dialecticorum  et  Metaphysicorura  principiis  falsis,  et 
praeterea  refutantur  fere  omnes  Marci  Antonii  Majoragii  ob- 
jectationes  contra  eundem  Nizoliura  usque  in  hanc  diem 
editae.     Parmae   apud  Septimium   Viottum   1553  in  4to.^) 

Schon  die  Titel  der  Werke  beweisen,  dass  die  Tätig- 
keit des  Nizolius  eine  mehr  philologische  als  philosophische 
gewesen  ist.  In  der  ersteren  Eigenschaft  hat  er  daher  auch 
stets  warme  Anerkennung  gefunden.  Caelius  Secundus,  ein 
späterer  Herausgeber  seiner  Observationes,  nennt  ihn  im 
Prooemium  einen  gelehrten  Mann,  der  sich  unstreitiges 
Verdienst  um  die  lateinische  Sprache  erworben:  Nizolius 
quasi  Deus  aliquis  linguae  Latinae  tanquam  universitatem 
quandam  fabricatus  est,  quam  postea  hominibus  non  solum 
ntendam,  verum  etiam  excolendam  tradidit  Aehnlich  äussert 
sich  Simon  Grynacus  in  der  Vorrede  zum  Thesaurus  Ciceronia- 
nus  des  Nizolius  :  Videtur  hie  vir  in  hoc  uuo  opere,  post- 
quam  delectum  Latinae  dictionis,  ne  promiscue  hauriremus, 
puritatemve  linguae  confunderemus,  optimum  egit,  simul  et 
viam  loquendi  certam  posthac  et  expeditam  monstrasse  et 
vim  ac  copiam  sermonis  Latii  totius  omnem  effudisse  et 
Ciceronis  libros  nunc  deum  legendos  omnibus  exhibuisse. 
Einer  seiner  Verehrer  H.  Fröhlich  besingt  das  Lob  des 
italienischen  Humanisten  begeistert  in  dem  Ruhmespoem : 

,, Nizolius    quem  thesaurum  congessit  in  unum, 

,,Ex  Latiae  linguae  fönte,  labore  gravi: 

,,Tro)anas  longe  gazas  superare  memento, 

jjFortunas  Crassi,  divitiasque  Midae." 

Für  die  Philosophie  ist  Nizolius  hauptsächlich  von  Be- 
deutung, weil  er  der  einzige  Grammatiker  ist,  der  Schule  ge- 
macht hat  in  der  Philosophie  und  ferner  als  erster  unter 
den  „filosofi  razionali"  in  Italien  ausführhch  gehandelt  hat 
Ton  der  ,,Dottrina  metodica".^) 

Um  indes  den  Philosophen  Nizolius  ganz  nach  Verdienst 
würdigen  zu  können,  muss  man  die  Zeit,  in  der  er  lebte,  in 
Rechnung  ziehen. 


1)  G.  IV^.  136.  Bat.  39.     Daselbst  auch   die  übrigen  kleineren 
Schriften.  2)  Siehe  Bat  41. 


-  32  - 

Die  Renaissance  ist  in  philosophischer  Hinsicht  charak- 
terisiert durch  die  grosse  Armut  selbständiger  philosophischer 
Spekulation  und  durch  vorläufiges  Fortwuchern  der  schola- 
stischen Philosophie.  Daneben  kommen  als  positive  Momente 
einerseits  die  Erneuerung  antiker  Systeme  —  vor  allem  ein 
von  den  humanistischen  Philologen  in  engster  Anlehnung  an 
Cicero  gezüchteter  Eklekticismus  —  andererseits  eine  mit  der 
letzten  Erscheinung  eng  zusammenhängende  rhetorische  Be- 
handlung der  Philosophie,  speziell  der  Logik  in  Betracht.  Die 
neologischen  Humanisten  mussten  den  Schriften  Ciceros  wegen 
der  Schönheit  ihrer  sprachlichen  Form  gegenüber  dem  ent- 
stellten und  verwilderten  Aristotelismus  der  spätscholastischen 
Philosophie  mit  ihrer  dunklen  und  vielfach  sinnlosen  Diktion 
den  Vorzug  geben.  Daher  sehen  wir  alle  „Philosophen"^ 
der  Renaissance  in  dem  Streben,  durch  Beseitigung  der  sinn- 
losen Auswüchse  den  reinen  und  ursprünglichen  Aristoteles 
für  den  literarischen  Betrieb  der  Logik  wiederherzustellen 
und  schliesslich  die  logische  Disziplin  zu  einer  rhetorischen 
umzugestalten,  einig  gehen.  Galt  der  Scholastik  Aristoteles^ 
der  philosophus  xat'  l^o-/'»]v,  als  Norm  in  jeder  strittigen  Sache, 
so  bekämpfen  die  Humanisten,  wie  jeden  Autoritätsglauben, 
80  vor  allem  die  Ausschliesslichkeit,  mit  welcher  man  über- 
haupt nur  dem  Aristoteles,  den  man  noch  dazu  in  entstellter 
Form  in  Händen  habe,  Wert  beilege.  Als  Massstab  und 
Norm  will  man  vielmehr  den  eigenen  gesunden  Menschen- 
verstand und  die  fünf  Sinne  gelten  lassen.  Und  in  diesem  Ge- 
sichtspunkte haben  wir  die  Brücke  zu  der  sensualistisch-no- 
minalistischen  Tendenz,  die  gleichfalls  mehr  oder  weniger 
die  Philosophen  der  Renaissance  insgesamt  beherrscht. 

Neben  dem  Italiener  Nizolius  kommen  hier  als  bedeu- 
tende Vertreter  der  Renaissance-Philosophie  in  Betracht 
der  Römer  Laurentius  Valla,  der  Deutsche  Rudolph  Agri- 
cola  und  der  Spanier  Ludovicus  Vives. 

Nizolius  bringt  die  Bestrebungen  seiner  Vorgänger  zu 
einem  gewissen  systematischen  Abschluss,  sich  grösstenteils 
an  sie  anschliessend,  vielfach  dieselben  aber  auch  kri- 
tisierend. 


-  33  — 

Von  seinen  Werken  mass  er  selbst  dem  Antibarbarus 
Philosophicus  die  Hauptbedeutung  zu,  da  er  in  ihm  eine  Re- 
formatio Philosophiae  bewirkt  zu  haben  meinte.  Aber  den- 
noch erntete  er  gerade  durch  seinen  Index  Ciceronianus 
seine  Berühmtheit,  während  seine  Philosophie  schon  beim 
Entstehen  kaum  dem  „Ersticken"  entging:  „Philosophia  Nizo- 
liana  prope  in  ipso  partu  suffocationem  aegre  effugit."^)  Das 
Geschick  des  „in  tenui  labor,  at  tenuis  non  gloria"  bei  Nizo- 
lius  begründet  Leibniz^)  durch  den  Umstand,  dass  Nizolius 
in  Italien  schrieb,  wo  damals  Aristoteles  und  die  Scholastiker 
in  allzu  tyrannischer  Weise  herrschten. 

Leibniz  ist  der  Ansicht,  dass  nunmehr  seine  Zeit,  wo 
man  wenigstens  zugebe,  dass  auch  ein  Aristoteles  irren  könne, 
auch  den  Verdiensten  eines  Nizolius  gerecht  werden   könne.  ^) 

Welche  Wertschätzung  Leibniz  selbst  dem  italienischen 
Philosophen  entgegenbrachte,  beweisen  ausser  der  von  ihm 
besorgten  zweimaligen  Herausgabe  des  Antibarbarus  die 
zahlreichen  Anmerkungen,  die  er  in  den  Text  hineinsetzte, 
sowie  die  Abhandlungen,  die  er  im  Anschluss  an  die 
Edition  des  Nizolischen  Werkes  erscheinen  liess.  Unter  ihnen 
ist  die  ausführlichste  und  wichtigste  die  sogenannte  Disser- 
tation über  den  philosophischen  Stil:  Dissertatio  Prae- 
liminaris  de  alienorum  operum  editione,  de  Philosophica  dicti- 
one,  de  lapsibus  Nizolii,  wie  Leibniz  sie  betitelt.  Er  schickte 
dieselbe  nebst  einer  Widmung  an  den  Baron  von  Boineburg, 
ausserdem  einen  Brief  an  Thomasius  „über  die  Versöhnung 
des  Aristoteles  mit  der  neuen  Philosophie"  —  De  Aristotele 
recentioribus  reconciliabili  —  sowie  Exzerpte  aus  Briefen 
des  Thomasius  ad  Editorem  (Leibniz)  der  eigentlichen  Ab- 
handlung des  Nizolius  voraus. 


1)  G.  IV.  134  f. 

2)  Q.  IV.  137. 

3)  „vel  hoc  saltem  in  confesso  est,   Aristotelem  errare  posse" 
(G.  a.  a.  0). 


Renhissanoe  and  Philosophie,  Heft  V. 


-  34  - 


b)  Leibniz'  üebereinstiramung  mit  Nizolius. 

a)   Die  philosophische   Diktion. 

Gerade  die  Schrift  des  Nizolius  musste  Leibniz  beson- 
ders anziehen;  war  doch  desselben  Massstab  in  der  Beur- 
teilung und  Behandlung  fremder  Autoren  derjenigen  unseres 
Leibniz  so  durchaus  ähnlich.  „Auch  Nizolius  knüpfte  an 
die  Scholastik,  die  Alten  —  vor  allem  Aristoteles  —  an, 
übernahm  das  viele  Gute  ,  das  sich  bei  ihnen  fand 
und  besserte  und  reinigte,  wo  es  ihm  gut  und  notwendig 
schien"  ^). 

In  dieser  Behandlungsweise  fremder  Autoren  sieht 
Leibniz  ein  Hauptverdienst  des  Nizolius;  er  hält  ihn  daher 
den  Philosophen  seiner  Zeit  entgegen  2),  die  nur  darauf  be- 
dacht seien,  sich  ausschliesslich  mit  ihren  eigenen  Gedanken- 
erfindungen zu  befassen. 

Ein  gleiches  Mass  von  Uebereinstimmung  mit  Nizolius 
bekundet  Leibniz  in  der  Beurteilung  oder  vielmehr  Verur- 
teilung der  Scholastik.  Mit  Recht  musste  seiner  Ansicht 
nach  Nizolius  nach  dem  Studium  des  stofflich  vielseitigen 
und  stilistisch  glänzenden  Cicero  die  scholastische  Behand- 
lungsweise, „die  mit  ihren  Finsternissen  und  ihrem  geringen 
Gehalt  an  Nützlichem  irgendwelcher  Art  jeglicher  elegantia 
entbehrte",  verachten.  Zwar  sucht  Leibniz,  die  Scholastiker 
in  Schutz  nehmend,  ihre  Fehler  und  Schwächen  zu  ent- 
schuldigen mit  den  damaligen  ungünstigen  Zeitverhältnissen. 
Welchen  Wert  er  aber  im  Innersten  seines  Herzens  der 
Scholastik  beimisst,  beweisen  die  zornigen  Vorwürfe,  die  er 
denen  macht,  ,,die  noch  jetzt,  nachdem  die  Früchte  gefun- 
den, lieber  die  Eicheln  essen  wollen  und  mehr  sich  versün- 
digen durch  ihren  Eigensinn  als  durch  Unwissenheit."')    Ihnen 


1)  Gerh.  IV.  135.  Ritter  446. 

2)  G.  IV.  151  vgl.  auch  135. 

3)  G.  IV.  156.  157. 


—  35  — 

hält  er  entgegen  den  unvergleichlichen  Verulamius  und  die 
übrigen  ausgezeichneten  Männer  unter  den  Neueren,  die  die 
Philosophie  „ex  aereis  divagationibus  aut  etiam  spatio  ima- 
ginario  ad  terram  hanc  nostram  et  usum  vitae  revocave- 
runt"i). 

Im  Zeitalter  der  Erneuerung  der  Wissenschaften,  so 
behauptet  Leibniz^),  hat  es  viele  Gelehrte  gegeben,  die  gegen 
die  barbarische  Diktion  der  Vulgärphilosophen  zu  Felde 
zogen,  aber  es  war  bei  ihnen  mehr  ein  ,,Carpere"  als  ein 
„Emendare".  Die  einen  jammerten,  andere  mahnten  und 
gaben  Ratschläge,  wieder  andere  donnerten  gegen  die  scho- 
lastischen Philosophen  und  nannten  sich  im  Gegensatz  zu 
ihnen  ,, Reales",  aber  sie  unterliessen  es,  die  Sache  selbst 
in  die  Hand  zu  nehmen. 

Da  sei  es  nun  Nizolius  gewesen,  der  mit  Eifer  und 
Fleiss  und,  wenn  man  ihn  läse,  mit  solcher  ,,efficacia"  wie 
kein  anderer  Schriftsteller  sich  wirklich  damit  befasst  habe, 
den  Boden  der  Philosophie  von  jenen  „spinae  verborum''  von 
Grund  aus  zu  säubern.  Er  verdiene  es  daher  als  ,,exem- 
plum  dictionis  philosophicae  reformatae"  und  zwar, 
soweit  es  für  die  Logik,  das  Vestibulum  Philosophiae,  gelte, 
angesehen  zu  werden.  Leibniz  knüpft  hieran  den  Wunsch, 
dass  in  seiner  an  Talenten  so  reichen  Zeit  sich  Männer  fin- 
den möchten,  das  Werk  des  Nizolius  für  die  übrigen  Teile 
der  Philosophie  fortzusetzen.  Er  selbst  würde,  wie  er  hinzu- 
fügt, sich  dieser  Aufgabe  unterziehen,  wenn  er  sich  nicht 
teils  durch  andere  Studien  daran  verhindert  sähe,  teils  aber 
fürchten  müsse,  anderen,  die  dieselbe  Sache  besser  leisten 
möchten,  vorzugreifen. 

Diese  Einwendungen  halten  ihn  jedoch  nicht  ab,  auf 
die  Nizolianischen  Erörterungen  wenigstens  im  allgemeinen 
einzugehen  und  ihnen  Neues    hinzuzufügen.     Rühmend    hebt 


1)  G,  IV.  193.  Ueber  das  Verhältnis  Leibnizens  zur  Scho- 
lastik siehe:  Josef  Jasper,  „Leibniz  und  die  Scholastik*  Leipzig- 
1898/99,  ferner  Rintelen  „Leibnizens  Beziehungren  zur  Scholastik" 
München  1903,  besonders  pg.  4  ff. 

2)  G.  IV.  151. 


—  3«  — 

Leibniz  hervor,  wie  Nizolius  überall  nicht  nur  fordere,  son- 
dern auch  selbst  in  Anwendung  bringe  eine  ,,dicendi  ratio 
naturalis  et  propria,  simplex  et  perspicua,  et  ab  omni  de- 
torsione  et  fuco  libera,  et  facilis  et  popularis  et  e  media 
sumta,  et  congrua  rebus,  et  luce  sua  juvans  potius  memo- 
riam  quam  Judicium  inani  acumine  confundens".  ^) 

Nizolius  stellt  fünf  allgemeine  Prinzipien  des 
rechten  Philosophierens  auf  2),  die  aber,  wie  Leibniz  bemerkt, 
mehr  auf  die  Rede  als  auf  das  Denken  Bezug  nehmen.  Als  erste 
Bedingung  fordert  er  die  Kenntnis  des  Griechischen  und  des 
Lateinischen,  als  zweites  das  Vertrautsein  mit  den  Vor- 
schriften und  Lehren,  die  sich  bei  den  Grammatikern  und 
Rhetoren  finden,  ferner  drittens  eine  umfassende  und  an- 
dauernde Lektüre  der  besten  griechischen  und  lateinischen  Au- 
toren und  die  Kenntnis  des  allgemeinen  Sprachgebrauchs  so- 
wohl, soweit  es  die  obigen  betriflft,  als  auch  des  Volkes,  das  nach 
Horaz  die  Gewalt  und  Bestimmung  hat  über  die  Norm  der 
Redeweise.  3)  Ein  viertes  Prinzip  ist  die  Freiheit  und  wahre 
Willkür  im  Denken  und  Urteilen  über  alle  Dinge.  Jeder, 
der  richtig  philosophieren  will,  darf  keiner  bestimmten 
philosophischen  Sekte  anhängen,  sondern  soll  vielmehr  seinen 
eigenen  fünf  Sinnen,  seiner  Intelligenz  und  der  Erfahrung 
als  seinen  alleinigen  Lehrern  und  Autoritäten  folgen.  End- 
lich fordert  Nizolius  als  letzte  und  fünfte  Bedingung, 
dass   man   nicht  abweiche  von  der  gewöhnlichen  und  bei   allen 


1)  G.  IV.  138. 

2)  N.  1.  I.  C.  I.  p^.  6. 

3)  Siehe  auch  N.  II.  IL  pg'.   126    „nemini  fas    est,    ut    Graeci 

dieunt,  ovofAaxoTto-.sIv,  hoc  est.  nova  nornina  tingere,  nisi  populo 

Atque  ideo  Dialectici  non  recte  faciunt  sed  maximum  committunt 
Vitium,  qui  primum  impudenter  et  barbare  nominant  res  a  se  non 
inventas  et  ab  aliis  ante  nominatas,  ut  exempli  gratia,  quae  Gram- 
niatici  et  Oratores  jam  inde  a  principio  vocaverunt  nomina,  verba, 
adjectiva,  substantiva,  supposita,  apposita,  propositiones,  assump- 
tiones  et  pluriina  alia  huiusmodi,  ipsi  praetermissis  et  rejectis  pe- 
nitus  nominibus  antiquis  et  rectis.  appellant  terminos,  copulas, 
i'oncreta,  abstracta,  subjecta,  praedicata,  maiores,  luinores  et  alia 
id  genus  sexcenta". 


-  37  - 

Gelehrten  üblichen  Redeweise,  nicht  za  kurz  oder  dunkel 
schreibe  oder  lese,  keine  ,,quaestione3  inconsistentes",  nichts 
Paradoxes  oder  Ungebräuchliches  oder  Neues  in  die  Philo- 
sophie einführe,  falls  letzteres  nicht  unbedingt  nötig  ist. 
Besonderen  Nachdruck  legt  Nizolius  darauf,  dass  ja  nicht 
die  „mos  scribendi  et  loquendi  a  populi  ac  vulgarium  lo- 
<juendi  consuetudine"  abweiche.  Den  Verstoss  gegen  diese 
Hauptregel  rügt  er  im  Verlaufe  seines  ganzen  Werkes 
immer  wieder  bei  den  Dialektikern  und  Pseudophilosophen, 
deren  Redeweise  er  bald  als  ,, falsa  et  commentitia",  bald  als 
^jObscura,  ambigua,  abstrusa  und  monstrosa  vel  barbara" 
bezeichnet. 

Leibniz  rechnet  die  Regeln  über  die  philosophische 
Redeweise  zur  Logik.  Er  unterscheidet  also  in  der  Logik 
Äwei  Teile,  die  Logica  verbalis  und  die  Logica  realis.  Der 
erste  Teil  handelt  vom  Gebrauch  der  Worte,  der  andere  von 
der  Leitung  der  Gedanken;  „unam  de  claro  distincto  et 
proprio  verborum  usu,  seu  de  stilo  philosophico,  alteram  de 
regendis  cogitationibus."  i) 

Als  Kardinaltugenden  der  Rede  (philosophischen 
Diktion)  gelten  Leibniz  2)  im  allgemeinen  drei,  nämlich 
Klarheit,  Wahrheit  und  eine  gewählte  Darstellung  (elegantia), 
die  er  folgendermassen  definiert:  Clara  est  oratio  cuius  om- 
nium  vocabulorum  significationes  notae  sunt  tantum  attendenti, 
Vera,  cuius  significatum  sentiente  et  medio  recte  disposito 
sentietur,  Elegans  est  oratio,  quae  auditu  lectuve  jucunda 
est.  Von  der  elegantia  kann  man  bei  der  philosophischen 
Diktion  absehen. 

Mit  der  Forderung  der  Wahrheit  geht  Leibniz  über 
Nizolius  hinaus  ;  die  von  ihr  gegebene  Definition  hält  er  für 
die  „wahrste"  von  allen,  die  bis  dahin  aufgestellt  worden 
seien.  Die  Certitudo  definiert  er  als  claritas  veritatis.  Schon 
aus  der  certitudo,  welche  die  philosophische  Rede  verlange 
inbezug  auf  ihre  Materie,  folge,  dass  die  claritas  und  veritas 
Hauptbedingungen  der  oratio  philosophica  seien. 


1)  Erdmann,  S.  66.  418—426.    Schreiben  an  Gabriel  Wagner. 

2)  G.  IV.  138. 


—  38  — 

Aber  oflFenbar  ist  auch,  dass  die  Wahrheit  eines  Satzes^ 
nicht  bekannt  sein  kann,  wenn  nicht  die  Bezeichnung  der 
Worte  bekannt  ist,  d.  i.  nach  obiger  Definition,  wenn  die 
Rede  nicht  klar  ist.  Die  Ciaritas  bezieht  sich  daher  auf  die 
Worte  und  ihre  Konstruktion.  An  dieser  Stelle  betont  Leib- 
niz,  dass  man  sich  technischer  Ausdrücke,  soweit  es  möglich 
und  eine  Weitschweifigkeit  (prolixitas)  ausgeschlossen  sei, 
ganz  und  gar  enthalten  müsse.  Den  technischen  Ausdrücken 
hafte  immer  eine  gewisse  Dunkelheit  an,  während  die  termini 
populäres  als  „termini  e  medio  sumti"  unter  Beibehaltung 
ihrer  gewöhnlichen  Bedeutung  die  grösste  Klarheit  abgeben. 
Jedenfalls  sei  es  durchaus  richtig,  dass  es  keine  Sache  gebe, 
die  sich  nicht  erklären  Hesse  durch  populäre  Ausdrücke,  wenn- 
gleich durch  mehrere.  Daher  sei  dem  Nizolius  recht  zu  geben, 
wenn  er  überall  behaupte,  dass  das  „pro  nuUo,  pro  com- 
mentitio  et  inutili"  zu  erachten  sei,  dem  nicht  im  gewöhn- 
lichen Sprachgebrauch  wenigstens  ein  allgemeiner  Ausdruck 
beigelegt   sei.  ^) 

Je  populärer  die  Ausdrücke  seien,  desto  deutlicher 
die  Rede.  Um  aber  einer  Weitschweifigkeit  zu  begegnen,  fordert 
Leibniz  eine  „compendiosissimam  popularitatem  vel  popularis- 
simum  compendium".  Es  ergibt  sich  also  als  Fundamentalregel 
für  den  philosophischen  Stil:  „Quandocumque  termini  populäres 
suppetunt  aeque  compendiosi,  abstinendum  est  terminis  Tech- 
nicis''.  *) 

In  Anbetracht  dieser  seiner  Haupttendenz,  der  „re- 
ductio  terminorum  ad  populäres"  übertrifi't  Nizolius  nach 
dem  Urteil  Leibnizens  einerseits  weit  seinen  Zeitgenossen 
Ramus,  der  an  die  Stelle  der  aristotelischen  neue  technische 
Ausdrücke  setzte  und  so  nicht  die  Wissenschaft,  wohl  aber 
die  Mühe  bereicherte ;  andrerseits  lässt  er  sich  mit  den 
Männern  der  neueren  Zeit,  als  da  sind  Hobbes,  Cartesius, 
vergleichen,  die  von  demselben  Streben   beseelt  seien.  ^) 


1)  V{?1.  auch:  ,Quicquid  terminis  popularibus  explicari  non 
potest,  nisi  immediato  sensu  constet  (qualia  sunt  multa  Genera  colo- 
rum,  odorum,  saporum)  esse  nuUum  et  a  philosophia  velut  piacu- 
lari  quodam  carmine  arcendum".    G.  IV.  143. 

2)  G.  IV.  145.    .3)  „authornostro  tempore  dignus  est".  G.  IV.  138. 


-  39  - 

Das  wirksamste  Mittel  zur  Bekämpfung  und  Ver- 
drängung der  scholastischen  Redeweise  erblickt  Leibniz 
im  Gebrauch  der  lebenden  Sprachen.  Interessant  ist  es  zu 
hören,  wie  er  gerade  das  Deutsche  von  allen  Sprachen 
Europas  hinstellt  als  die  geeignetste  für  die  Prüfung  von 
Philosophemen,  dagegen  als  ganz  und  gar  ungeeignet,  um 
Hirngespinste  auszudrücken  (,.ad  commentitia  exprimenda"). 
Eben  der  Umstand,  dass  die  deutsche  Sprache  nicht  vor 
der  Philosophie  als  solcher,  sondern  vielmehr  vor  der  ,, bar- 
barischen'* Philosophie  zurückgeschreckt  sei,  deren  ratio  phi- 
losophandi  erst  spät  hätte  verdrängt  werden  können,  gebe 
den  Grund  dafür  ab,  dass  die  Deutschen  sich  so  spät  mit  der 
Philosophie  befasst  hätten. 

Die  lateinische  Phrase  ist  nach  seiner  Ansicht  häufig  ein 
Deckmantel  der  Unklarheit,  sie  ist  Maske,  nicht  Ausdruck.  So 
decke  auch  die  scholastische  Philosophie  ihre  Blossen  mit  der 
elenden  Hülle  ihres  Latein.  Der  Gebrauch  der  Volkssprache 
aber  biete  ein  „tentamen  probatorium''  für  die  philosophischen 
Gedanken,  ein  ,,examen  philosophandum'^^)  Da  sei  gerade 
die  deutsche  Sprache  sehr  geeignet  für  rein  wissenschaftliche 
Untersuchungen  sowie  zur  Hervorbringung  einer  schönen 
Literatur;  vornehmlich  in  der  Philosophie  sei  ihr  Wert  nicht 
zu  unterschätzen.  2)  Den  gleichen  Gedanken  spricht  Leibniz 
aus  in  einer  späteren  Schrift,  die  sich  betitelt  „Unvorgreitiiche 
Gedanken  betreffend  die  Ausübung  und  Verbesserung  der 
teutschen  Sprache". 3) 


1)  Gerh.  IV.  145. 

2)  „lUud  tarnen  asserere  possim,  huie  tentamento  probatorio 
atque  examini  philosophematum  per  linguam  aliquam  vivam  nuUam 
esfie  in  Europa  lingua  Germanica  aptiorem ;  quia  Germanica  in 
realibus  plenissima  est  et  perfectissima,  ad  invidiam  omniuin  cae- 
terarum,  quum  artes  reales  et  raechanicae  a  multis  secuiis  a  niilla 
gente  sint  diligentius  excultae,  usque  adeo  ut  ipsi  Turcae  in  fodinis 
Graeciae  et  Asiae  minoris  vocabulis  metallicis  Germanorum  utantur." 
(Gerb.  IV.  ibidem.) 

3)  ,,Wir  Teutschen  hätten  einen  sonderbaren  Probierstein  der 
Gedanken,  der  anderen  unbekannt ;  und  wann  sie  dann  begierig 
_gwesen,  etwas  davon  zu  wissen,    so  habe  ich  ihnen  bedeutet,  dass 


—  40  — 

Wenn  nun  Leibniz,  der  sich  die  Pflege  der  deutschen 
Sprache  so  sehr  angelegen  sein  liess  und  selbst  mit  vollster 
Ueberzeugung  auf  ihre  Förderung  und  Verbesserung  hin- 
wirkte, andrerseits,  von  Briefen  und  einigen  Schriften  wie 
die  obigen  abgesehen,  seine  bedeutendsten  Schriften  in 
lateinischer  oder  französischer  Sprache  abgefasst  hat,  so  gibt 
er  hierfür  eine  hinreichende  Begründung,  wenn  er  sagt:  „Ich 
hätte  es  lieber  teutsch  geschrieben,  sonderlich  weil  die 
teutsche  Sprache  keine  terminaisonen  leidet,  man  wolte  dann 
fremde  worte  ungescheut  hineinflicken :  allein  es  hätte  der- 
gestalt dem  ausländer    nicht     communicirt  werden  können."^) 

Ausserdem  muss  man,  wie  Leibniz  weiter  bemerkt'),  beim 
Gebrauch  der  termini  populäres  wie  auch  der  termini  technici 
darauf  bedacht  sein,  keine  oder  nur  ganz  wenige  und  dann 
nur  passende  Tropen  in  Anwendung  zu  bringen.  Auch 
hierin  fehlten  die  Scholastiker,  deren  Rede,  wie  er  sagt, 
,,tropis  scatet".  Man  soll,  so  weit  es  eben  geht,  festhalten 
an  dem  Ursprung  eines  Wortes,  besonders  wenn  derselbe 
sicher  ist;  denn  die  ursprüngliche  Bedeutung  eines  Wortes 
ist  seine  wesentliche  und  ihm  eigentümliche. '  Allerdings 
kann  ein  Wort  seine  ursprüngliche  Bedeutung  verloren  und 
mit  Hilfe  von  Tropen    eine    neue    angenommen    haben.      In 


es  unsere  Sprache  selbst  sei;  denn  was  sich  darin  ohne  entlehnte 
und  ungebräuchliche  Worte  vernehmlich  sagen  lasse,  das  seye 
würklich  was  Rechtschaffenes :  aber  leere  Worte,  da  nichts  hinter 
und  gleichsam  nur  ein  leichter  Schaum  müssiger  Gedanken,  nehme 
die  reine  Teutsche  Sprache  nicht  an  .  .  .  sie  ist  ein  Probierstein 
rechtschaff"ener  guther  Gedanken  und  hat  darin  einen  grossen  Vor- 
zug vor  der  lateinischen  und  ihren  Tochtersprachen ;  die  gedanken, 
die  man  mit  guthem  reinen  Teutsch  geben  kan,  sind  auch  gründ- 
lich, was  aber  sich  nicht  in  j^uth  Teutsch  geben  lässt,  besteht 
gemeiniglich  in  leeren  worthen  und  gehöret  zu  der  Scholastik", 
Leibniz's  Deutsche  Schriften  von  Dr.  G.  E.  Guhrauer,  Berlin  1840, 
L  pg.  453  §  11.  Vergleiche  dazu  auch  die  Einleitung  pg.  440  ff, 
und  die  „Kritisch-Historische  Einleitung"  (besonders  pg.  52  ff".). 
K.  Fischer  „Leibniz"  pg.  65  ff, 

1)  Abhandlung   vom   freien   Willen    des   Menschen    und    der 
göttlichen  Vorsehung  (Klopp  I  Einl.).    Kroger  205. 

2)  G.  IV.  148. 


—  41  — 

diesem  Falle  ist  die  letztere  Bedeutung  die  eigentümliche, 
sobald  sie  so  allgeraeingebräuchlich  geworden,  dass  sie 
gerade  so  bekannt  oder  sogar  geläufiger  ist  als  die  erste, 
ursprüngliche. 

Wenn  Nizolius  sich  als  geschworener  Feind  jeglicher 
Abstraktion  erweist^),  so  i'olgt  Leibniz  auch  hierin  seinem 
Vorgänger.  2)  Er  stellt  den  Satz  auf,  dass  man  beim  ge- 
nauen Philosophieren  sich  nur  der  Concreta  bedienen  dürfe. 
Denn  es  gelte  sozusagen  als  Tatsache,  dass  gerade  die  Sucht 
im  Ausdenken  abstrakter  Bezeichnungen,  die  man  doch  zur 
Genüge  beim  Philosophieren  entbehren  könne,  die  ganze  Phi- 
losophie verdunkelt  habe;  denn  die  Concreta  seien  in  Wahr- 
heit die  res,  nicht  aber  die  Abstracta.  Letztere  seien  viel- 
mehr die  Modi  rerum,  die  Modi  aber  wiederum  nichts 
anderes  als  „Relationes  ad  intellectum".  Bedenke  man  nun 
die  „replicatio  modorum  in  infinitum",  ferner  die  ,,qualitate3 
qualitatum"  und  „numeri  numerorum",  so  würde  sich,  wollte 
man  das  alles  als  Dinge  gelten  lassen,  nicht  allein  eine 
„infinitas"  sondern  auch  eine  „contradictio"  ergeben.  Denn 
wenn  die  Entitas  ein  Ens,  die  Realitas  eine  res,  die  aliqui- 
ditas  ein  aliquid  wäre,  so  würde  die  ,, forma  sui  ipsius  seu 
pars  conceptus  sui"  identisch  sein  mit  dem  Inhalt.  ,,Nie 
haben  sich  daher  die  termini  abstracti  beim  strengen  Philo- 
sophieren als  besonders  nützlich  erwiesen,  vielmehr  als  ganz 
und  gar  unbrauchbar  und  verderblich."  ^^  An  die  Stelle  von  : 
„homo  est  rationalis"  zu  setzen  :  ,,homo  habet  rationalitatem" 
ist  nach  Leibnizens  Ansicht  nicht  allein  tropisch,  sondern 
überhaupt  überflüssig.  ,,Wenn  daher  jemand  die  Elementa 
Philosophiae  vollständig  behandeln  will,  muss  er  sich  der  Ab- 
stracta gänzlich  enthalten.^' 


1)  Siehe  besonders  N.  III.  VII.  u.  a.  pg.  '259  ,,illud  dubium 
esse  non  poterit,  quin  omnis  abstractio  a  Pseudophilosophis  intro- 
ducta  sive  ea  dialectica  sit,  sive  physica,  sive  matheniatica,  sive 
metaphysica,  ut  ipsi  vocant,  non  modo  falsa  sit  .  .  .  sed  etiam  om- 
nino  supervacanea,  et  nullam  ad  rem  omnino  necessaria'*. 

2)  G.  IV.  14.7  ff. 

3)  G.  ibidem. 


—  42  - 

ß)  Nominalistische  Bestrebungen. 

Verrät  schon  der  Kampf  Leibnizens  und  Nizolius'  gegen 
die  Abstracta  nominalistische  Tendenzen,  so  kommen  solche 
vor  allem  zu  Worte  in  dem  Bekenntnis  ihres  erkenntnis- 
theoretischen Standpunktes.  Nizolius  bekennt  sich  ,,exserte" 
als  Anhänger  Occams  und  Noniinalist,  d.  i.  zur  Sekte  derjenigen, 
die  alles  für  blosse  Namen  halten  ausser  den  Einzelsubstanzen 
und  somit  die  Realität  der  Abstracta  und  Universalia  aufheben. 0 

Der  Streit  um  die  Uni vers alienfrage,  d.  i.  der  Frage 
über  den  Wert  der  Allgemeinbegriffe,  der  allgemeinen  Form 
unseres  geistigen  Erkennens,  die  schon  das  Altertum  ein- 
gehend beschäftigte  und  auch  in  der  neuen  Philosophie  von 
grösster  Bedeutung  ist,  hat  wohl  seine  heftigste  Form  im 
Mittelalter  angenommen.  Man  unterscheidet  im  allgemeinen 
zwei  entgegengesetzte  Lager,  Realisten  und  Nominalisten, 
deren  Systeme  im  einzeln  wieder  besonders   modifiziert  sind. 

Unter  den  Realisten  behaupten  die  einen  im  Anschluss 
an  die  platonische  Lehre,  dass  die  Universalien  eine  von  den 
Einzelobjekten  gesonderte,  selbständige  Existenz  hätten  und 
vor  diesen  existierten.  Dieser  extrem-realistischen  Ansicht 
stehen  nahe  die  Skotisten  *),  die  Anhänger  des  Duns  Scotus. 
Scotus  vertritt  den  sogenannten  Realismus  Empiricus,  indem 
er  behauptet,  dass  das  allgemeine  Wesen  der  Dinge  nicht 
nur  im  Intellekte,  sondern  auch  in  den  Dingen  selbst  von 
deren  individueller  Eigentümlichkeit  unterschieden  sei.  Er 
vindiziert  dem  Allgemeinen  eine  auch  reale  Existenz,  weil 
sonst  die  begriffliche  Erkenntnis  ohne  reales  Objekt  sein 
würde,  und  will  daher  auch  nicht  das  Allgemeine  mit  der 
Form  identifiziert  wissen.  So  werden  von  ihm  die  Univer- 
salien nahezu  dinglich  gefasst,    und    er  weiss    den  Umstand» 


1)  G.  IV.  157.  Dazu  vgl  N.  I.  VI.  pg.46:  „Nam  nos  quoque 
una  cum  Nominalibus  sine  uUa  dubitatione  confitemur  universalia 
in  vocibus  ac  nominibus  reperiri  et  voces  communes  universales- 
que  esse  .  .  .  lianc  igitur  Ochamicam  de  universalibus  opinionem, 
nos  quoque  in  tote  lioc  opere  contra  Dialecticos  Reales  secuturi 
sumus  ac    defensuri". 

2)  Willmann  II.  514  ff. 


—  43  — 

dass  sie  den  Intellekt  sollizitieren,  nicht  anders  zu  erklären 
als  durch  ihre  Substanziierung.  i) 

Der  sogenannte  gemässigte  Realismus,  der  an  Aristo- 
teles anknüpft,  hält  daran  fest,  dass  den  Allgemeinbegriffen 
im  Intellekte  ein  Korrelat  in  den  Individuen  entspreche  — 
fundameutum  in  re  — ,  die  Form  ihrer  Allgemeinheit  aber 
von  dem  erkennenden  Sabjekte  herrühre.  Den  Realismus 
in  gemässigter  Form  —  universalia  in  re  —  vertritt  Thomas 
von  Aquin  :  universalia  non  sunt  res  subsistentes,  sed 
habent  esse  solum  in  singularibus^),  mit  anderen  Worten: 
Das  Allgemeine  ist  seinem  Grunde  nach  in  den  Dingen,^ 
seinem  formalen  Sein  nach  im  Geiste  (universale    post  rem). 

Der  Nominalismus,  der  gleichfalls  schon  in  der 
alten  Philosophie,  namentlich  in  den  Sophisten,  Stoikern  und 
Epikureern  seine  Vorläufer  hatte,  entwickelte  sich  in  der 
Scholastik  zu  einem  ausgesprochenen  Parteistandpunkt.')  Es 
begründet  die  Sekte  der  ,, Nominales"  Roscellinus  von  Com- 
piegne  im  11.  Jahrhundert.  Er  erklärt  die  Begriffe  als  sub- 
jektive Zusammenfassungen  mehrerer  Individuen  unter  einem 
Ausdruck  und  sieht  so  in  den  allgemeinen  Begriffen  nomina, 
voces,  durch  die  wir  aus  Mangel  an  lauter  Eigennamen  die 
einander  gleichartigen  Objekte  sämtlich  bezeichnen.  Dieser 
durch  Roscellin  begründete  Nominalismus*),  der  durch  die 
stark  realistische  Gegenbewegung  des  12.  Jahrhunderts  (Anselm 
von  Canterbury)  nahezu  verschwindet,  nachdem  er  einer  ge- 
mässigten, die  Subjektivität  der  Begriffe  betonenden,  d.  i,  kon- 
zeptualistischen  Richtung  (Abälard,  Johannes  von  Salisbury) 
Platz  gemacht  hat,  erhebt  im  14.  Jahrhundert  wieder  kühn  sein 
Haupt.  Die  Erneuerung  des  Nominalismus  knüpft  an  Wilhelm 
von  Occam  an. 5)  Derselbe  gründet  seine  Verwerfung  des 
Realismus  auf  den  von  ihm  geprägten  Grundsatz:  entia  non  sunt 
multiplicanda  praeter  necessitatem.     Daher  sei  die    Annahme 


1)  Willmann  a.   a.  0. 

2)  Summ.  c.  Gent.  I.  65. 

3)  Vergl.  Willmann  IL  §  69    pg.  350  ff. 

4)  Vergleiche  die  Dissertation  von  Joseph  Heiners  :    Die  Uni- 
versalienfrage in  der  Frühscholastik,  Bonn  1907. 

5)  Ueberweg,  Gesch.  d.  Philos.  II.  305  ff. 


-  44  - 

eines  realen  Allo^emeinen  überflüssig,  und  es  genüge  die  Setzung 
der  singularia,  mit  denen  allein  sich  daher  die  Wissenschaften 
zu  befassen  hätten.  Das  Allgemeine  existiert  hiernach  nicht  in 
den  Dingen,  sondern  in  dem  denkenden  Geiste  als  conceptus 
mentis  significans  univoce  plura  singularia.  ^)  Ihm  sind  die 
Universalia  lediglich  actus  intelligendi  oder  termini  secun- 
dae  intentionis,  daher  seine  Schüler  auch  Terministen  heissen. 
Eine  allgemeinste  Bedeutung  gewinnt  der  Nominalismus  im 
Zeitalter  der  Renaissance.  Die  meisten  der  neologischen  Huma- 
nisten wie  Valla,  Agricola,  Vives,  vor  allem  aber  Nizoiius 
versuchen,  fusseiid  auf  nominalistischen  Tendenzen,  den  Rea- 
lismus der  Scholastik  zu  bekämpfen  und   zu  beseitigen. 

Die  Universalien,  so  behauptet  Nizoiius  als  Okkamist, 
können  ausserhalb  des  Wortes  und  des  Intellekts  gar  nicht 
existieren,  sondern  nur  in  denselben.  Universalia  zu  sein, 
ist  in  Wahrheit  nur  eine  Eigentümlichkeit  der  nomina  ap- 
pellativa,  nicht  aber  der  res.  Auf  diese  Feststellung  legt 
Nizoiius  grossen  Wert.  Er  bezeichnet  sie  als  das  Funda- 
ment seiner  ganzen   Disputatio.^) 

Unter  „universalia"  verstand  man  in  der  Scholastik  im 
weiteren  Sinne  alle  Begriffe  überhaupt,  im  engeren  Sinne  die 
fünf  allgemeinsten  Begriffe  der  Gattung  (genus),  Art  (species), 
Differenz  (differentia),  Eigenschaft  (proprium)  und  des  Zu- 
fälligen (accidens).  Man  nannte  sie  „praedicabilia",  Katego- 
reme.3)  In  Rücksicht  auf  ihren  nur  in  formeller  Beziehung 
geltenden  Inhalt  bezeichnete  man  dieselben  als  secundae 
intentiones  oder  auch  als  eine  Art  der  entia  rationis,  d.  h. 
die  ihr  Sein   nur  in  der   Vernunft  haben. 

Diesen  Universalien  spricht  Nizoiius  jede  Realität  und 
Bedeutung  ab,  nennt  sie  „mera  vocabula  barbara  et  res  plene 
fictae  et  fabulosae"^)  und  setzt  sich  in  ausdrücklichen  Gegen- 
satz zu  den  Realisten,  wie  Boethius,  Scotus,  die  da  behaupteten. 


1)  Siehe  weiter  Ueberweg^  a.  a.  0. 

2)  N.  I.  IV.  46. 

3)  Grimmich,    Lehrbuch  der   theor.  Philos.    auf  thomistischer 
Grundlage  pg.  21  ff. 

4)  N.  I.  VIII.  74. 


-  45  - 

dass  die  Universalien  nicht  nur  „in  vocibus  et  intellectibus", 
sondern  auch  ,,in  ipsis  rebus  extra  voceni  intellectumque"  sich 
fänden. 

Es  gibt  nach  Nizolius  nichts  Wirkliches  in  rerum  natura 
ausser  den  ,,singularia"  und  den  „multitudines  singularium 
sive  singularia  simul  et  semel  sumta  (comprehensa)".  *)  In 
seiner  allgemeinen  Teilung  der  Dinge  unterscheidet  Nizolius 
Substanzen  und  Qualitäten;  beide  sind  ihrerseits  entweder 
Einzeldinge  oder  Mengen  von  solchen,  ein  Drittes  ist  nicht 
möglich.  Die  letzteren  bezeichnet  er  auch  als  ,,tota  discreta", 
erstere  als  ,,tota  continua".^) 

Welche  Rolle  der  Nominalismus  in  Leibniz'  Philo- 
sophie spielt,  drückt  Guhrauer  treffend  aus  mit  den 
Worten:  „W'ir  sehen  den  nemlichen  Geist  (des  Nominalis- 
mus) durch  alle  Phasen  der  Entwicklung  der  Leibnizschen 
Philosophie  als  einen  charakterisierenden  Typus  wieder- 
kehren." Er  erläutert  sodann  diese  Behauptung,  indem  er 
fortfährt:  „Der  Nominalismus  führt  zu  einer  nüchternen 
Naturforschung  und  zu  einer  dieser  geinässen  Naturphilo- 
sophie und  schliesst  sich  an  die  Erfahrung  an,  statt  die 
Natur  aus  innerer,  wie  tief  auch  geschöpfter  Selbstanschau- 
ung, im  Geiste  zu  gestalten. "3) 

Der  Nominalismus  hat  also  im  Gefolge  den  Realismus 
(nur  die  res  existieren  in  Wirklichkeit),  jedoch  nicht  jenen 
oben   erwähnten  scholastischen   Realismus,   der    den    Begriffen 

1)  N.  I.  VIII.  pg-.  75:  ,,No8  enim  prorsus  ita  dicimus  et  affir- 
mamus,  in  tota  rerum  natura  nihil  esse  nee  esse  posse,  quod  unum 
et  idem  cum  sit,  eodem  tempore  totum  et  integrum  possit  esse  in 
muitis,  vei  singularibus  subjecto  distinctis.  vel  speciebus  quomodo- 
cunque  differentibus". 

2)  N.  I.  X.  SO;  „Diximus  in  g-enerali  divisione  rerum,  omnia 
quaecunque  sint  in  tota  rerum  natura,  in  summa  esse,  aut  sub- 
stanti.is  aut  qualitates,  et  omnes  tam  substantias  quam  qualitates 
rursus  esse,  aut  res  siujiulares  aut  multitudines  singularium  .... 
necesse  est  omne  totum  esse  aut  unam  rem  tantum  singularem, 
aut  unam  multitudinem  rerum  singularium,  cum  nihil  lertium  esee 

possit in  summa    in    tota   rerum    natura   non    sint  nee  esee 

possint,  nisi  duo  totorum  genera,  totum  continuum,  et  totum  dis- 
cretum."  3)  G.  E.  Guhrauer  „Leibniz'  Dissertation  De  principio 
individui".     Einleitung  pg.  49. 


—  46  — 

Realität  vindizierte  und  daher  eher  die  Bezeichnung  „Forma- 
lismus"  verdiente. 

Diesem  realistischen  Nominalismus  der  Scholastik  hul- 
digte auch  Leibniz  in  seinen  Jugendjahren.  Zeugnis  hiervon 
gibt  seine  erste  Schrift,  die  ,,Dissertatio  de  principio  indi- 
vidui"  (individuationis)  1663,  die  sich  ganz  in  nominalistisch- 
realistischen  Bahnen  bewegt.  Er  behandelt  in  derselben  das 
Individuationsproblem  und  polemisiert  vor  allem  gegen  die 
Skotisten.  ^) 

Aehnlich  wie  die  Universalienfrage  bildet  bekanntlich 
auch  das  Problem  der  Individuation  einen  Hauptkontrovers- 
punkt in  den  mittelalterlichen  Schulen. 2)  Nach  der  Lehre  der 
Thomjsten  ist  das  aus  Materie  und  Form  bestehende  Wesen 
individuiert,  d.  i.  von  seinesgleichen  abgeteilt  und  gesondert 
vermöge  der  quantitativ  umschriebenen  oder  gesiegelten 
Materie  derart  jedoch,  dass  ihm  auch  die  der  Zahl  der 
Individuen  entsprechend  vielfach  gesetzte  Form  als  eigen 
zukommt.  Danach  gibt  es  bei  immateriellen  Wesen  (Engeln) 
keine  Individuation. 

Andere  wie  Bonaventura  suchen  das  Individuations- 
prinzip  in  der  Form  und  Materie  zugleich,  so  dass  die 
Form  des  aliquid  esse  die  Materie  des  hoc  esse  gibt. 

Duns  Scotus,  der  die  thomistische  Lehre  bekämpft, 
statuiert  ein  eignes  Prinzip  für  die  Individuation,  die  ,,haec- 
ceitas"=Diesheit.  Er  will  hinsichtlich  des  Verhältnisses  des  In- 
dividuellen zum  Allgemeinen  nicht  das  Allgemeine  mit  der  Form 
identifiziert  und  in  der  Materie  nicht  das  individualisierende 
Prinzip  angenommen  wissen;  denn  das  Individuum  kann  als 
tdtima  realitas,  da  die  individuelle  Existenz  nicht  ein  Mangel, 
sondern  eine  Vollkommenheit  ist,  aus  dem  Allgemeinen  nur 
durch  Hinzutritt  positiver  Bestimmungen  hervorgehen,  indem 
nämlich  das  allgemeine  Wesen  oder  die  Washeit  (quidditas) 
durch  die  individuelle  Natur  (haecceitas)  ergänzt 
wird.  8) 


1)  G.  IV.  23  ff.    Siehe  besonders  §§  17,  19,  22—25. 

2)  Willmann  II.  374  ff. 

3)  Ueberweg  II.  292. 


-  47  - 

Leibniz  beantwortet  die  Frage  nach  der  Individuation 
dahin,  dass  jedes  Individuum  sich  durch  die  Totahtät  seiner 
Natur,  seines  Begriffes  individuiere  :  pono  igitur,  omne  indi- 
viduum    sua  tota  Entitate  individuatur.  i) 

Die  Hauptbedeutung  der  Dissertation  ist  wohl  darin  zu 
suchen,  dass  sich  Leibniz  hier,  wo  er  noch  Scholastiker  ist, 
für  den  Nominalismus  oder,  im  modernen  Sinne  des  Wortes, 
für  den  individualistischen,  konkreten  Realismus  entschieden 
hat.  In  §22  der  er.vähnten  Schrift  argumentiert  Leibniz  gegen 
Scotus  unter  anderem ;  ,,Quamvis  enim  sunt  loca  quaedam  Scoti, 
quibus  asserat,  posse  fortasse  Deum  facere,  ut  universalia  sint 
extra  singularia,  et  similiter  genus  extra  speciem,  tamen  id 
absurdum  probo,  quia  nulla  daretur  divisio  adaequata:  daretur 
animal  nee  rationale  nee  irrationale"  2);  ferner  in  §  25;  ,,Si 
omnis  intellectus  creatus  tolleretur,  illa  relatio  periret  et  tamen 
res  individuarentur  ....  Addo,  quod  relatio  illa,  si  esset 
realis,  haberet  suam  haecceitatem,  esset  enim  singularis,  et  ita 
in  infinitum." 

Wie  hoch  Leibniz  von  den  Nominalisten  denkt,  be- 
weist er  in  seiner  ,,Dissertatio  de  stylo  Philosophico",  worin 
er  dieselben  als  die  „profundissima  secta  omnium  inter  Scho- 
lasticos"  und  ,,hodiernae  reformatae  philosophandi  rationi 
congruentissima"  bezeichnet.  ^) 

Die  allgemeine  Regel,  deren  sich  die  Nominalisten  ge- 
meiniglich bedienen,  laute:  Entia  non  esse  multiplicanda 
praeter  necessitatem.  Diese  Regel  (Occams)  werde  von  Geg- 
nern häufig  angegriffen,  gleichsam  als  ein  Unrecht  gegen 
die  göttliche  Fruchtbarkeit,  die,  mehr  freigebig  als  sparsam. 
Gefallen  habe  an  der  Mannigfaltigkeit  und  Fülle.  Jedoch  die- 
jenigen, die  solchen  Vorwurf  erheben,  schienen  ihm  nicht  ge- 
nügend die  Absicht  der  Nominalisten  begriflfen  zu  haben,  die, 
allerdings  etwas  dunkel  ausgedrückt,  darauf  hinausgehe,  dass 
eine  Hypothese  um  so  besser  ist,  je  einfacher  sie  ist,  und 
dass  bei  der  Begründung  und  Erklärung  von  Erscheinungen 


1)  De  Princ.  indiv.  §  4.  Siehe  dazu  die  Einleitung-  Guhrauers. 

2)  G.  IV.  24. 

3)  G.  IV.  157. 


—  48  — 

am  besten  derjenige  verfährt,  der  möglichst  wenig  „gratis 
supponiert".  Denn  gerade  derjenige,  der  anders  vorgehe, 
klage  hierdurch  die  Natur  oder  vielmehr  Gott,  ihren  Urheber^ 
an  und  zwar  eines  ungehörigen  und  zwecklosen  Ueber- 
flusses. 

Aus  der  obengenannten  Regel  hätten  nunmehr  die  No- 
minalisten weiter  den  Satz  abgeleitet,  dass  alles  in  rerum 
natura  sich  erklären  lasse,  auch  wenn  es  überhaupt  keine 
Universalia  und  Realia  Formalia  gäbe,  eine  Ansicht,  die 
vollständig  wahr  und  eines  Philosophen  seiner  (Leibniz')  Zeit 
würdig  sei.  ^) 

Leibniz  scheint  in  der  genannten  Dissertation  einem 
naiven  Sensualismus  zu  huldigen,  wenn  ihm  die  objektive 
Gültigkeit  oder  Realität  der  Erkenntnisse  gewährleistet  er- 
scheint durch  ihre  Uebereinstimmung  mit  den  Sinnesemplin- 
dungen:  „Die  Wahrheit  eines  Satzes  beruht  darauf,  dass  das, 
was  er  bezeichnet,  empfunden  wird,  wofern  nur  das  empfindende 
Subjekt  und  das  Medium  recht  disponiert  sind.  Und  dies  ist 
die  einzige  und  wahrste  Definition  der  Wahrheit."  ^)  Es  sind 
ihm  hier  also  die  Sinne  das  Mass  der  Wahrheit.  Allerdings 
wird  der  vermeintliche  Sensualismus,  wie  Kabitz  richtig  be- 
merkt, abgeschwächt  durch  die  Erklärung,  dass  der  Grad 
der  Gewissheit  eines  Satzes  abhängig  ist  von  der  Klarheit 
über  die  in  ihm  enthaltenen  Begrifi'e,  welche  uns  nur  durch 
Definition  derselben  zuwächst,  und  dass  das  Mass  der  Klarheit 
der  Intellekt  ist.  ^) 

Leibniz  behauptet  von  den  Reformatoren  der  Philosophie, 
dass  sie,  wenn  nicht  mehr  als  Nominalisten,  jedenfalls  alle 
Nomic allsten  seien.  Um  so  mehr  passe  daher  auch  Nizolius 
als  Nominalist  für  seine  Zeit. 


1)  G.  IV.  15a 

2)  „Vera  est  oratio,  quae  sentiente  et  medio  recte  disposito 
sentietur.  .  .  .  Haec  oratio:  Roma  ad  Tiberim  sita  est,  ideo  vera  est, 
quia  ut  sentiam  quod  dicit,  nihil  aliud  requiritur,  quam  ut  sentiens  et 
medium  recte  se  habeat ;  sentiens  nimirum  nee  sit  caecus,  nee 
surdus,  medium  seu  intervallum  non  eit  grande."    G.  IV.  138. 

3)  Gerh.  ibidem. 


—  49  — 


c)  Leibniz'  Kritik  an  Nizolius. 

a)  Behandlung  der  Universalienfrage. 

Trotz  Anerkennung  der  grossen  Vorzüge  des  Nizolius 
findet  Leibniz  gar  manches  an  ihm  auszusetzen.  Zunächst 
empfindet  er  den  Titel  des  Werkes  „De  principiis  et  vera 
Ratione  Philosophandi"  höherklingend  als  billig. i)  Denn  das 
ganze  Werk  enthalte  nur  die  Reform  der  Logik  und  ihre 
Zurückführung  auf  einen  reinen  und  ursprünglichen  Sprach- 
gebrauch. Nizolius  bekämpfe  hier  und  da  die  Metaphysik, 
bringe  jedoch  nichts  vor,  was  die  Prinzipien  derselben  erschüt- 
tern könne  oder  was  den  Dialektikern  unbekannt  wäre,  und 
nirgendwo  unternehme  er  eine  tractatio  de  uno  et  multo,  de  toto 
et  parte  und  ähnliche  metaphysische  Fragen.  Die  „res  naturales 
et  mathematicae"  werden  überhaupt  nicht,  die  „Civilia*'  kaum 
nebenbei  erwähnt.  Für  den  hochtrabenden  Titel  findet  Leib- 
niz eine  Erklärung  in  der  Auffassung,  dass  die  wahre  Logik 
nicht  nur  ein  „instrumentam"  sei,  sondern  gewissermassen 
die  Prinzipien  und  die  rechte  Weise  des  Philosophierens  be- 
handeln müsse,  weil  sie  jene  allgemeinen  Regeln  enthalte,  nach 
denen  sich  Wahres  und  Falsches  allein  voneinander  trennen 
lasse.  Aber  ihre  Prinzipien  sollen  auch  gar  nicht  zu  der 
Philosophie  und  ihren  propositiones  im  eigentlichen  Sinne 
gehören  und  die  Wahrheit  der  Dinge  nicht  erzeugen,  sondern 
nur  beweisen;  dennoch  werden  sie  einen  Philosophen  ausmachen 
und  die  Prinzipien  des  richtigen  Philosophierens  sein  müssen, 
was  zur  Verteidigung  des  Nizolius  genüge. 

Abgesehen  hiervon  findet  Leibniz  bei  Nizolius  viele  schwere 
Fehler,  von  denen  er  die  hauptsächlichsten  in  der  be- 
nannten Dissertation  ,,De  stylo  philosophico",  die  übrigen  aber 
in  kurzen  Fussnoten  behandelt,  die  er  dem  Werke  des  Nizolius 
selbst  eingefügt.  Zunächst  fordert  nach  Leibniz  zum  Tadel 
heraus  die  „malevicentia",  mit  der  Nizolius  gegen  Aristoteles, 


1)  G.  IV.  137. 

Renftissance  and  Philosophie,  Heft  V. 


—  60  - 

Piaton,  Galen,  die  alten  griechischen  Interpreten  des  Aristo- 
teles und  die  Scholastiker  ohne  Ausnahme  verfahre.  Den 
Thomas  von  Aquin  nennt  er  hierbei  einen  ,,münoculum 
inter  caecos".^) 

Kein  grosses  Verdienst  hat  sich  Nizolius  ferner  nach 
Ansicht  Leibnizens  erworben,  wenn  er  die  Fehler  der  Scho- 
lastiker dem  Aristoteles  zuschiebt,  da  doch  zur  Zeit  dank  den 
Bemühungen  der  gelehrtesten  Männer,  deren  Leibniz  eine  Menge 
aufzählt,  nichts  mehr  feststehe,  als  dass  Aristoteles,  entgegen 
der  falschen  Ansicht  eines  Valla,  Nizolius,  Bassus  und  anderer 
,,Aristotelomastiges",  für  keine  der  ineptiae,  durch  die  die 
Scholastiker  überall  entstellt  sind,  verantwortlich  zu  machen  sei. 
Nizolius  fordert  u,  a.  als  allgemeines  Prinzip  der  Wahr- 
heit, dass  man  nichts  Parodoxes,  Ungebräuchliches  oder  Neues 
in  die  Philosophie  einführen  dürfe. 2)  Gegen  diese  Regel  haben 
sich,  wie  er  behauptet,  vor  allem  Piaton  und  Aristoteles  ver- 
sündigt. Ersterer  habe,  von  vielem  anderen  Parodoxen  und 
Absurden  abgesehen,  besonders  jene  abgeschmackten  und 
nichtssagenden  Ideen  eingeführt. 3)  Ueberhaupt  will  Nizolius 
den  Piaton  nur  als  grossen  Redner  und  Dichter  gelten  lassen 
—  seine  Ideen  will  er  auch  nur  als  geistreiche"^)  Dichtungen 
aufgefasst  wissen  — ,  nicht  aber  als  grossen  Philosophen  und 
gründlichen   Erforscher    der  Wahrheit.^) 

Leibniz  nimmt  den  Piaton  in  Schutz  und  wirft  dem 
Nizolius  vor,  dass  er  ihm  in  die  Natur  und  den  Begriff  der  Ideen 
nicht  genügend  eingedrunj^en  zu  sein  scheine.  „Wer  daher  ein 
Beispiel  wünscht  von  der  ausserordentlich  tiefen  Philosophie 
Piatons,  der  lese  nicht  die  Interpreten,  die  —  auch  die  alten 
—  im  schwulstigen  und  bombastischen  Tone  reden,  sondern, 
den  „Parinenides"  und  „Timaeus"  selbst,  von  denen  jener 
de  uno  et  ente,  id  est  Deo  zu  bewunderungswürdigen 
Schlüssen  kommt,  dieser  die  Natur  der  Körper  allein  durch 
die  Bewegung    und    Figur    bestimmt,     was   gewiss  mit  Recht 


1)  N.  IV.  VII.  343  ff. 

2)  N.  I.  I.  13. 

3)  ibidem. 

4)  N.  1.  X.  B2. 

5)  N.  IV.  VII.  845. 


—  51  - 

"heute  von  unsern  neuen  Philosophen  ganz  und  gar  ge- 
billigt wird." 

Eingehender  befasst  sich  Nizolius  mit  Aristoteles.  Er 
wirft  ihm  zunächst  vor,  dass  er,  statt  es  bewenden  zu  lassen 
bei  der  richtigen  Zurückweisung  jener  Platonischen  Ideen, 
einen  noch  viel  grösseren  Irrtum  begangen  habe,  indem  er 
dieselben  ersetzte  durch  Einführung  seiner  „Universalia" 
(tdc  xa^öXoo),  die  noch  weit  unnützer,  unwahrer  und  absurder 
seien  als  die  „Ideen'  Piatons. i) 

Nizolius  begnügt  sich  nicht  damit,  diesen  Universalien 
ihre  reale  Existenz  abzusprechen,  er  leugnet  auch  jeglichen 
Wert  derselben  für  die  Wissenschaft.^)  Es  gibt  für  ihn  nur 
Einzeldinge  und  Zusammenfassungen  von  solchen  :  „singularia" 
et  ,,multitudines  singularium''.  Wenn  nun  die  Dialektiker 
behaupten,  über  die  Einzeldinge  lasse  sich  keine  Wissenschaft 
und  Definition  aufstellen,  da  sie  an  Zahl  ,,infinita"  und  ihrer 
Natur  nach  „corruptibilia"  seien,  was  dagegen  bei  ihren 
„universalia"  nicht  der  Fall  sei,  so  behauptet  Nizolius  dennoch: 
„artes  et  scientias  et  definitiones  tradi  et  esse  non  de  uni- 
versalibus  realibus,  quae  ficta  commentitiaque  sunt  .  .  .  sed 
de  singularibus  et  individuis".  Die  singularia,  „singula  per 
se  separatim"  genommen,  sind,  so  gibt  er  zu,  allerdings  un- 
zählbar und  vergänglich,  dagegen  „universe  vel  in  Universum 
i.  e.  simul  et  semei"  gefasst,  nicht.  In  diesem  Sinne  ge- 
nommen sind  die  singularia  unvergänglich  und  ewig,  nämlich 
„per  continuam  successionem  et  perpetuam  quasi  generationem 
singularium",  und  zugleich,  „in  Universum  vel  universe  i.  e. 
simul  et  semel"  gefasst,  nicht  unbegrenzt.  Nizolius  setzt  also 
an  die  Stelle  des  nach  seiner  Ansicht  falschen  „univer- 
sale" der  Dialektiker,  der  „secunda  intentio",  wie  sie  es 
auch  nennen,  das  auf  die  innere  allgemeine  Wesenheit  des 
Dinges  geht,  sein  „Universum",  das  ihm  den  Inbegriff  oder 
die  Totalität  der  Einzeldinge   bedeutet. 

Nizolius  behauptet  ferner  gegenüber  seinen  dialektischen 
Gegnern,  dass  auch  Schlüsse    und    Beweise    zustande  kämen 


1)  N.  I.  I.  14. 

2)  N.  I.  VU.  48.    Vergl.  pg.  42  ff.  dieser  Abhandlung. 


—  52  - 

nicht  auf  Grund  ihrer  Universalifti,  sondern  vielmehr  der  voa 
ihm  aufgestellten  Universa.  Denn  die  Schlüsse  bedeuteten 
keinen  Uebergang  vom  Allgemeinen  (universale)  zum  Be- 
sonderen (particulare),  sondern  vielmehr  von  der  Gesamtheit 
(universa)  zum  Einzelnen  (singularia).  Ein  gleiches  gelte  von 
der  Induktion  in  umgekehrter  Weise,  von  den  singula  zu 
den  universa.^) 

Endlich  sind  die  Universalia  nach  Ansicht  des  Nizolius 
nicht  notwendig  bei  der  Prädikation  des  Höheren  aus 
Niederem.  Denn  nicht  reale  Begriffe  werden  von  Individuen 
prädiziert,  sondern  nur  Namen.  Wegen  der  Prädikation  der 
genera  aus  ihren  species  und  der  species  aus  Individuen 
sei  durchaus  die  Setzung  von  universalia  nicht  notwendig. 
In  Sätzen  wie  homo  est  aniraal  sei  animal  nicht  vox 
oder  genus  oder  species  oder  universale,  sondern  res  vera, 
als  wenn  es  hiesse  :  unus  homo  est  unum  animal.  Denn  es 
könne  kein  wahres  genus  von  seiner  species  prädiziert  werden 
„in  recto  «-asu".  Dies  gelte  von  allen  appellativa  simplicia, 
d.  h.  Kollektivnamen.  Von  diesem  eigentümlichen,  eigent- 
lichen Gebrauch  unterscheidet  Nizolius  den  figürlichen,  wenn 
z.  B.  der  Plural  steht  für  den  Singular  und  zwar  in  obliquo 
casu,  so :  homo  sive  species  hominis  est  in  genere  animalium. 
„Aucii  in  diesem  Falle  ist  animalium  nicht  universale,  wie  es 
die  Dialektiker  und  Philosophaster  in  törichter  und  einfältiger 
Weise  erdichten,  sondern  vox,  da  es  prädiziert  wird  und 
zwar  „in  obliquo  casu",  was  immer  den  voces  eigen  ist. 
Hier  bedeutet  animal  als  genus  soviel  wie  omnia  animalia 
oder  omne  genus  animalium  =  multitudo  omnium  animalium 
singulaiium.  Somit  setzt  Nizolius  an  die  Stelle  der  logischen 
Prädikation  teils  eine  „tautologische'',  eigentliche  d.  i.  des 
Individuums  von  sich  selbst,  teils  die  uneigentliche,  figürliche 
des  genus  vom  individuum  oder  die  Subsumtion  unter  eine  Ge- 
samtheit. Das  genus  ist  ihm  also  ein  Kollektivname  und  ein 
allgemeiner  Begriff  in  dem  Sinne,  dass  es  eine  Vielheit  von 
Dmgen  unter  sich  begreift  und  zusamraenfasst.  Nizolius 
muss  von     seinem    extremrealistischen    Standpunkt    aus  auch 

N.  I.  VII.  .57. 


—  53  — 

jene  Lehre  der  Dialektiker  als  falsch  bezeichnen,  nach  der 
ein  Satz  wie :  homo  est  animal  Geltung  für  ewige  Zeit  hat, 
auch  wenn  es  in  der  Welt  keinen  einzigen  Menschen  gäbe,  weil 
man  nämlich  in  ihrem  Sinne  bei  den  praedicata  essentialia  nicht 
fragt  nach  der  existentia  subjectorum.^)  Gerade  als  wenn 
(meint  Nizolius)  jene  praedicata  nicht  in  den  einzelnen 
Menschen  existierten,  sondern  auf  dem  Mondball  oder  dort, 
wo  die  Platonischen  Ideen  ihren  Sitz   haben. 

Auch  die  Singularia  können  im  kollektiven  Sinne  d.  h. 
£gürlich  gebraucht  werden.  Es  stehen  dann  die  Singularia 
synekdochisch  für  die  Pluralia  z.  B.  homo  est  animal  = 
bomines  sive  omnes  homines  sunt  animalia.  Dieses  figürlichen 
Gebrauchs  des  Singularia  an  Stelle  des  Pluralis  bedienten  sich 
die  ausgezeichnetsten  Schriftsteller,  besonders  in  Definitionen, 
Gesetzesbeschlüssen,  Betitelung  von  Schriften  und  Anführung 
von  Beispielen. 2) 

Die  Gattungen  und  Spezies  werden,  da  sie  in  seinem 
Sinne  Kollektivnamen  sind,  also  Subsumtionen  von  Einzel- 
dingen darstellen,  unmöglich,  falls  ihnen  alle  singula,  die  sie 
unter  sich  begreifen,  genommen  werden.  Das  universale  oder 
vielmehr  das  Universum  des  Nizolius  ist  ein  Sammelname 
wie  exercitus,  populus  u.  a.,  also  ein  kollektives,  diskretes 
Ganze,  im  Unterschiede  zu.  dem  kontinuierlichen  Ganzen  wie 
corpus,  domus.  „Nomina  hominis  et  animalis  et  cetera 
huiusmodi  .  .  .  nihil  aliud  est  nisi  multitudo  ex  individuis 
composita  et  totum  quoddam  discretum,  ex  nullis  aliis  nisi 
ex  singularibus  vere  constans'*.^) 

Den  Vorgang  der  Subsumtion  der  Einzeldinge  unter 
«in  dieselben  in  ihrer  Gesamtheit  umfassendes  Ganze  —  genus 
sive  multitudo  sive  Universum  sive  totum  discretum  — , 
diese  Zusammenfassung,  die  „comprehensio  vere  philoso- 
phica  et  oratoria",  will  Nizolius  gesetzt  wissen  anstatt 
der  barbarischen  und  falschen  Abstraktion  der  Dialektiker, 
aus  der  die  universalia  hervorgehen  sollen.  Seine 
„comprehensio"      definiert       Nizolius     als      „die      Tätigkeit 


1)  N.  IV.  V.  329. 

2)  Siehe  N.  I.  IV.  2.S  flf. 

3)  N.  I.  IV.  33.  Aehnlich  auch  I.  VII.  54. 


—  54  — 

oder  Operation  des  Intellektes,  vermöge  deren  der  mensch- 
liche Verstand  alle  Einzeldinge  ihrer  eignen  Gattung  — 
singularia  omnia  sui  cuiusque  generis  —  ein  für  allemal  zu- 
sammenfasst  und  auf  den  zusammengefassten  dann  weiter 
alle  Wissenschaften,  Künste,  Schlüsse  und  die  übrigen  Ar- 
gumente aufbaut".  Die  comprehensio  ist,  wie  Nizolius  be- 
hauptet, eben  jenes,  was  die  Griechen  „tö  xadöXoo  eiTrsiv'*  und 
die  Lateiner  „in  Universum  loqui"  nennen. i) 

Die  drei  Abstraktionen  der  Peripatetiker,  die  physika- 
lische, die  mathematische  und  am  meisten  die  metaphysische 
sind  ganz  und  gar  falsch,  wie  er  näher  ausführt  im  siebenten 
Kapitel  seines  dritten  Buches.  „Schon  der  Umstand,  dass 
die  Universalien  falsch  sind,  beweist  allein,  dass  auch  jene 
Abstraktion  falsch  sein  muss,  oder  es  müsste  eine  falsche 
Folge  (effectüs  falsus)  aus  einer  wahren  Ursache  (causa  vera) 
hervorgehen  können. 2) 

„Es  gibt  in  der  Welt  nichts  als  Einzeldinge  und  Mengen 
solcher.  Die  Dinge  aber,  die  die  Dialektiker  ,,per  intellectum" 
von  den  Einzeldingen  abstrahieren  wollen,  existieren  nicht 
in  natura  rerura.  Ueberhaupt  ist  das  „abstrahere*  der  Dia- 
lektiker kein  „separare  res  intellectas  a  materia",  wie  sie  vor- 
geben, sondern  ein  „considerare  unam  rem  sine  alia"  (d.  i. 
das  Subjekt  ohne  Qualität,  die  Qualität  ohne  Subjekt  u.  s.  w.), 
und  weiterhin  ein  „comprehendere  per  intelligentiam  omnia 
generis  considerati  singularia  simul  et  semel  ita  separata".^) 
Den  grössten  Grad  von  Falsch  und  Absurd  erreicht  ihm  die 
metaphysische  Abstraktion,  die,  weil  sie  am  weitesten  entfernt 
sei  von  den  Einzeldingen  und  der  Materie,  auch  am  meisten 
abweiche  von  der  Wahrheit.  Das  „ens  in  quantum  ens'*,  oder 
wie  die  Griechen  es  nennen,  das  „ov  "^  öv",  welches  als  das 
am  meisten  abstrakte  von  jedem  materiellen  Einzel  ding  das 
wahre  „Subjectum"  der  Metaphysik  sein  soll,  bezeichnet 
Nizolius     als    Dichtung    und    leeren    Traum    und    behauptet 


1)  N.  III.  VII.  256. 

2)  ibidem  259. 

3)  ibidem  260. 


—  55  — 

immer  wieder  ^),  dass  „omne  ens  mundi"  entweder  ,,unum  ens 
individuum  et  singulare"  oder  ,,una  multitudo  entmm  singu- 
larium  et  individuorum'*  sei  und  dass  es  ausser  diesen  beiden 
Modi  des  Seins  keinen  dritten  gebe. 

Nicht  das  ,,ens",  sondern  vielmehr  die  „res"  ist  für  Ni- 
zolius  der  dem  Umfang  nach  allgemeinste  Begriff;  denn 
letzterer  umfasse  nicht  nur  das  Seiende,  sondern  auch  Nicht- 
seiendes. 

Dokumentiert  sich  bereits  in  dem  Verwerfen  jeglicher 
Abstraktion  und  der  Begriffe,  die  frei  von  Materie  sind,  ein 
rein  sensualistisch^r  Zug,  so  besonders  in  dem  Leugnen  eines 
Unterschiedes  zwischen  sensibler  und  intelligibler  Materie. 
Es  ist  geradezu  für  Nizolius  die  sensible  Materie  zugleich 
intelligibel;  denn  ,, alles,  was  vom  Sinne  perzipiert  wird,  das 
wird  auch  vom  Intellekte  perzipiert,  allerdings  von  letzterem 
in  vollendeterem  Masse". 2)  Der  Verstand  hat  also  mit  den 
Sinnen  dasselbe  Objekt  gemein,  ausserdem  aber  noch  die 
Fähigkeit,  die  Namen  und  die  Eigentümlichkeiten  der  Dinge 
zu  erfassen. 

Damit  ist  als  letzte  Konsequenz  die  Aufhebung  aller 
Demonstrationen,  Definitionen  und  Wissenschaften  gegeben, 
die  —  vor  allem  die  Dialektik  und  Metaphysik  —  auf 
Grund  der  abstrahierten   Uni  versahen  aufgebaut  sind. 

Nizolius  behauptet^),  dass  eine  demonstratio  unter  den 
Bedingungen,  wie  sie  Aristoteles  derselben  zagrunde  lege, 
nämlich  „ex  veris,  primis,  immediatis,  prioribus  et  notioribus 
et  causis  conclusionis  :  et  praeterea  ex  universalibus,  neces- 
sariis,  per  se  et  secundum  quod  ipsum"  sich  weder  bei 
Aristoteles  selbst  noch  einem  anderen  finde.  Vielmehr  habe 
in  so  vielen  Jahrhunderten  seit  Aristoteles  bis  jetzt  niemand 
ausfindig  machen  können,  „quodnam  sit  potissimae  demon- 
strationis  medium",  noch  auch,  ,,quae  et  quales  sint  nonnullae 
particulae  in  eius  defiuitione  appositae''.  Ausserdem  soll  sich 
jede   „demonstratio"  auf  etwas  Bekanntes  stützen  ;    da  dieses 


1)  N.  III.  VII.  262 

2)  N.  III.  VII.  2.Ö8. 

3)  N.  IV.  III  318  ff. 


—  56  - 

aber  die  „universalia"  sein  sollen,  die  kraft  seiner  vorher- 
gehenden Beweise  falsch  sind,  so  rauss  auch  die  demonstratio 
und  weiterhin  jede  scientia  demonstrativa  falsch  sein. 

Nizolius  erklärt  die  Dialektik  als  falsch,  überflüssig, 
nicht  notwendig,  schädlich  und  verderblich.  Sie  sei  daher  aus 
der  Zahl  der  Künste  und  Wissenschaften  zu  entfernen.^)  „Mit 
Unrecht  hat  man  sie  neben  Grammatik  und  Rhetorik  als 
den  dritten  Teil  der  Logica  Philosophia  gelten  lassen,  und 
fälschlich  hat  Aristoteles  derselben  ebenso  wie  der  Rhetorik 
alle  Dinge  der  Welt  subjiziert  und  beide  somit  ihrer  Materie 
nach  nicht  von  einander  unterschieden." 

Aehnlich  der  Dialektik  sei  auch  die  Metaphysik*) 
weder  notwendig  noch  wahr,  sondern  teils  falsch,  teils  unnütz, 
teils  überflüssig  und  könne  daher  als  solche  ebenfalls  keinen 
Platz  haben  unter  den  Künsten  und   Wissenschaften. 

Wie  Aristoteles  behaupte,  sei  jenes  allgemeinste  und 
universalste  ,,ens  qua  ens  =  tö  ov  -^  ov"  proprium  Metaphy- 
sicae  subjectum.  ,, Dieses  ens  muss  entweder  particulare  oder 
universale  sein.  Als  particuläres  kann  es  nicht  in  Betracht 
kommen,  da  nach  der  Lehre  der  Peripatetiker  über  particu- 
laria  keine  Wissenschaft  existieren  kann  ;  also  bleibt  übrig, 
dass  es  universal^  sein  muss.  Die  universalia  aber  sind  be- 
wiesenermassen  alle  falsch.  Also  muss  die  Metaphysik,  wenn 
ihr  „subjectum''  falsch,  auch  selbst  falsch  sein.  Wenn  daher 
ihr  eigenes  „subjectum"  falsch  ist,  so  kann  sie  sicherlich 
nicht  die  Prinzipien  und  ,,subjecta"  der  übrigen  Wissen- 
schaften befestigen  und  beweisen,  zumal  sie  selbst  keine 
Syllogismen,  keine  Induktionen,  keine  „modi  arguraentandi" 
besitzt,  sondern  diese  vielmehr  der  Dialektik  oder  Rhetorik 
entleihen  muss  —  kurz,  sie  kann  auch  keine  ,, scientia 
generalis",  keine  Allgemeinwissenschaft  sein. "3) 

L  e  i  b  n  i  z  lässt  sich  gegenüber  diesen  folgenschweren 
Angriffen  des  Nizolius  auf  Aristoteles  eine  eingehende  Er- 
örterung und  Verteidigung  der  Aristotelischen  Lehren    ange- 


1)  Siehe  N.  III.  V.  223  ff. 

2)  N.  IIL  VI.  245  ff. 

3)  N.  III.  VI.  251. 


—  57  — 

legen  sein.  Er  behauptet  zunächst,  dass  Aristoteles  jenen 
abgeschmackten  und  für  den  Intellekt  unerträglichen  Dog- 
mata,  die  ihm  die  allgemeine  Unkenntnis  der  früheren  Zeit 
zuschrieb,  fern  stehe. ^)  Er  habe  durchaus  nichts  gewusst 
von  den  sogenannten  ,,realitates  forraalitatum",  sondern  nur 
allgemeinste  BegriflFe  (notiones  generalissimas)  überliefert. 
Aristoteles  habe  keine  „universalia  realia"  angenommen,  ge- 
schweige gesetzt,  wie  sie  ihm  Nizolius  vorwerfe  ;  denn  es 
finde  sich  von  diesen  bei  ihm  keine  Spur  „nisi  in  singu- 
laribus,  mente  et  vocibus". 

Zwar  bekennt  sich  auch  Leibniz  als  Nominalist ;  aber 
er  vertritt  nicht  den  exzessiven,  mit  Sensualismus  endigenden 
Nominalismus  des  Nizolius.  Vielmehr  trägt  der  Leibnizsche 
Nominalismus  einen  gemässigten,  ,, durchgeistigten''  Charakter 
zur  Schau.  Leibniz  gibt  zu,  dass  die  Universalien  nur  Namen 
und  keine  Realitäten  seien,  und  dass  nichts  wahrer  sei  als 
die  Behauptung  der  Nominalisten,  alles  lasse  sich  in  der 
Natur  erklären,  auch  wenn  mau  sich  der  Universalien  und 
realen  Formalitäten  enthalte.^)  Aber  auch  nur  in  dieser  Be- 
ziehung —  nämlich  in  der  Naturphilosophie  —  huldigt  Leibniz 
dem  Nominalismus,  nicht  aber  in  der  Erkenntnistheorie.  Er 
vindizirt  den  Allgemeinbegriffen  nicht  nur  einen  selbständigen 
Inhalt,  sondern  betrachtet  dieselben  auch  als  apriorisches 
Besitztum  des  Geistes  und  setzt  sich  in  bewussten  Gegensatz 
zu  dem  zeitgenössischen  Sensualisten  Locke.  ^) 

Seinem  metaphysischen  Prinzip  gemäss,  dass  in  Wirk- 
lichkeit nur  Einzelnes  existiere,  musste  der  Nominalismus  bei 
Nizolius  einseitig  zu  Ende  geführt,  zum  reinen  Sensualismus 
werden.  Auch  bei  Leibniz  kann  man  in  seinen  Jugendjahren 
eine  Hinneigung  zur  sensualistischen  Erkenntnistheorie  bemer- 
ken ;  er  zieht  jedoch  nicht  wie  sein  Vorgänger  aus  der  Renais- 
sance die  letzten  Konsequenzen.  Vielmehr  wird  bei  ihm  der 
Sensualismus  durch  die  stark  rationalistischen  Tendenzen  seiner 
Metaphysik  und  Logik  fortwährend  in  Schach  gehalten.-*) 


1)  G.  IV.  155. 

2)  Q.  IV.  158. 

3)  VergL  Guhr.  Einl.  zur  Dias.  De.  princ.  indiv.  49. 

4)  Kab.  38  fr. 


—  58  - 

Ausdrücklich  erklärt  sich  auch  Leibniz  gegen  den 
Ultranominalismus  des  Hobbes  in  der  Vorrede  zur  Nizolius- 
ausgabe.^)  „Nicht  zufrieden  mit  den  Nominalisten  die  Uni- 
versalien auf  Namen  zurückzuführen,  behaupte  dieser  sogar^ 
dass  die  Wahrheit  selbst  der  Dinge  im  Namen  bestehe,  ja,^ 
dass  sie  von  menschlicher  Willkür  abhänge,  da  die  Wahr- 
heit von  den  Definitionen  der  Begriffe,  diese  Definitionen 
aber  vom  menschlichen  Willen  abhängig  seien.  Aber  diese 
Ansicht  kann  nicht  zu  Recht  bestehen.  Wie  in  der  Arith- 
metik, so  bleiben  auch  in  anderen  Wissenschaften  die 
Wahrheiten,  auch  wenn  sich  ihre  Zeichen  ändern,  und  es  hat 
gar  nichts  auf  sich,  ob  „man  das  dekadische  oder  ein  anderes 
Zahlensystem  anwendet. "2)  I.eibniz  lehnt  also  den  Nomina- 
lismus ab,  sofern  er  in  den  „Abstracta"  und  „Universalia" 
ein  rein  willkürliches  Zeichensystem  erblickt  und  ihnen  alle 
objektive  Realität  abspricht.  Die  Abstrakta  und  Universalia 
haben  ihren  Realgrund  in  den  einzelnen  Dingen,  sie  haben 
nur  keine  von  diesen  abgesonderte  Existenz,  es  sei  denn  im 
Verstände  Gottes. 

Er  betont  Nizolius  gegenüber  wörtlich  seine  gegensätz- 
liche Stellungnahme  innerhalb  des  Universalienproblems  :  „In 
diesem  Punkte  muss  man  daher  vom  Autor  (d.  i.  Nizolius) 
abweichender  Meinung  sein  und  durchaus  behaupten,  dass 
es  „Nomina  Universalia*'  gibt"  ^)  u.  s.  w.  ;  ähnlich  an  anderer 
Stelle  :  „Man  darf  endlich  nicht  einen  schweren  Irrtum  des 
Nizolius  bezüglich  der  Universalien  in   Abrede  stellen."*) 

„Nizohus  irrt,  wenn  er  an  Stelle  des  universale  sein 
Universum  sive  multitudo  singulariura  sive  totum  discretum 
gesetzt  wissen  will  und  wenn  er  behauptet,  über  dieses 
totum  collectivum  als  Gesamtheit  der  Einzeldinge  allein  sei 
eine  Wissenschaft  möglich,  da  nur  die  Einzeldinge  wirklich 
in  rerum  natura  vorhanden  seien  und,  wenn  auch  einzeln 
genommen,     unbegrenzt    und     vergänglich,    jedoch    in     ihrer 


l)Qerh.IV.  Iö8|  v,,g.i.  ^^,h  Kab.  41  f. 
'2;     ,,       ibidem    ) 

3)  N.  I.  IX.  77. 

4)  G.  IV.  160. 


—  59  - 

Gesamtheit  —  universe  accepta —  nicht  so  unendlich,  dass  sie 
sich  nicht  leicht  erkennen  und  verstehen  Hessen,  und  ausserdem 
ewig  seien  „per  continuam  successionem  et  perpetuam  quasi 
regenerationem  singularium".  Mit  dieser  Erklärung  kommt 
Nizolius  bei  Leibniz  nicht  fort.  ,,Denn  wenn  die  Zahl  der 
Einzeldinge",  so  entgegnet  Leibniz  ^),  „unbegrenzt  ist,  so 
können  letztere  folglich  nicht  simul  ac  semel  genommen 
werden.  Denn  ein  Ganzes  ist  unendlich,  dessen  Teile  un- 
endlich sind.  Wenn  daher  die  Wissenschaft  sich  befassen 
muss  mit  einem  Universum  genus,  letzteres  aber  als  totum 
coUectam  alle  Einzeldinge  darstellen  soll,  so  muss  diese 
Wissenschaft,  da  alle  Einzeldinge  iu  ihrer  Gesamtheit 
unbegrenzt  oder  wenigstens  unbestimmt  sind,  sich  be- 
fassen mit  einer  res  infinita  aut  indefinita,  also  mit  einem 
unfassbaren  Gegenstand  (res  incomprehensibilis)".  Damit  ist 
für  Leibniz  eine  Wissenschaft  nach  den  Prinzipien  des  Nizolius 
unmöglich. 

Wenn  daher  z.  B.  die  Wahrheit  des  Satzes  3X3  =  9 
von  der  ,,collectio  omnium  singularium  seu  inductio"  ab- 
hängig wäre,  so  würde  man  dies  nie  sicher  wissen  können, 
bevor  alle  singularia  erforscht  sind,  was  ins  Unendliche  geht. 
Also  kann  es  entweder  keine  bestimmte  Wissenschaft  geben, 
oder  aber  es  muss  falsch  sein,  dass  die  universalia  und 
weiterhin  die  Wissenschaften  sich  gründen  auf  eine 
Sammlung  von  Einzeldingen  d.  i.  auf  Induktion. 

Was  ferner  die  Ewigkeit  der  Einzeldinge  „per  successi- 
onem" anbelangt,  so  hört,  bemerkt  Leibniz,  diese  successio 
auf  beim  Untergang  der  Welt.  Trotzdem  aber  lasse  sich, 
selbst  wenn  die  Menschen  sich  nicht  erneuerten,  selbst  wenn 
das  ganze  Menschengeschlecht  verschwände,  vieles  wahr  über 
das  Menschengeschlecht  aussagen,  z.  B,  bliebe  wahr  der  all- 
gemeine Satz:  Wenn  es  einen  Menschen  gibt  (auch  wenn 
keiner  existiert),  so  muss  er  ein  Sinnen wesen  sem.^)  Aehn- 
lich  würde,  auch  wenn  alle  Elephanten  getötet  würden,  doch 
Geltung  haben  der  Satz :  Si  quis  est  Elephas    (sive    sit    sive 


1)  Siehe  N.  I.  VII.  49  ff. 

2)  N.  I.  Vir.  49. 


—  60  — 

non  sit),  ille  est  animal.i)  Denn  die  Bedingung  setzt  nichts. 
Daher  fragt  es  sich  hinsichtlich  der  Wahrheit  dieses  Satzes 
nicht,  dass  irgend  ein  Mensch  oder  Elephant  existiere, 
sondern  dass,  wenn  er  existiere,  er  notwendigerweise  auch 
ein  Sinnenwesen  ist.-) 

Die  Wissenschaft  handelt  also  nach  Leibniz  nicht 
nur  ,,de  existentibus",  sondern  auch  ,,de  possibilibus".  Sie 
fragt  nicht,  ob  ein  Dreieck  unter  den  Dingen  existiert,  sondern 
nach  dem,  was  daraus  folgt,  wieviel  Winkel  es  hat,  wenn  es 
existiert.  Die  Wissenschaft  befasst  sich  daher  nicht  nur  mit 
„universalia  realia",  sondern  mit  allen  „singularia'%  auch  den 
„possibilia".^) 

Das  ,, universale"  sei  infolgedessen  auch  nicht,  wie  Ni- 
zolius  annimmt,  ein  totum  discretum  collectivum,  sondern 
ein  totum  distributivum.  Leibniz  behauptet:  „Es  gibt  neben 
den  zwei  Arten  der  Ganzen ,  dem  kontinuierlichen  und 
dem  diskreten,  die  Nizolius  unterscheidet,  noch  ein 
drittes,  ein  disjunktives  oder  distributives".  Es  muss  daher 
einerseits  heissen  :  animal  est  aut  homo  aut  brutura,  nicht 
€t  homo  et  brutum,  ebenso:  omnia  animalia  sunt  aut 
homines  aut  bruta.  Andererseits  aber  muss  man  sagen: 
Multitudo  omnium  animalium  est  et  homines  et  bruta. 
Etwas  anderes  ist  ,, omnia  animalia",  etwas  anderes  ,, multi- 
tudo omnium  animalium".  Das  eine  ist  genus,  das  andere 
totum;  dieses  ein  „totum  distributivum",  jenes  ein  ,, totum 
<5ollecuvum". 

Also  folgt  aus  dem  Satze  :  omnes  homines  sunt  animalia 
nicht,  wie  Nizolius  annimmt,  dass  das  Universale  ein  kollek- 
tives, sondern,  dass  es  ein  distributives  sein  muss."  Das 
,, omnes  homines"  hat  nämlich  distributiven  Sinn,  d.  h.  nimmt 
man  diesen  (Titius)  oder  jenen  (Cajus)  Menschen,  so  wird 
man  linden,  dass  er  ein  Sinnenwesen  ist  (esse  animal  seu 
aentire).*)      Die    kollektive    Auffassung    des    Nizolius     würde 


1)  N.  I.  IV.  24. 

2)  N.  IV.  V.  330. 

3)  N.  III.  I.  193. 

4)  G.  IV.   160. 


—  61  — 

vielmelir  eine  Ungereimtheit  nach  sich  ziehen.  Würde  man 
nämlich  in  dem  Satz:  ,,omnis  homo  est  animal"  oder  ,,omnes 
homines  sunt  animalia"  statt  ,,omnes  homin-  s"  das  für  Nizolius 
ihm  gleiche, ,totum  genus  huraanum"  setzen,  so  würde  sich  folgen- 
der absurde  Satz  ergeben  ;  totum  genus  humanum  est  animal, 
desgleichen,  wenn  man  ,, animal"  als  ,, genus''  gegenüber 
,,homo"  als  „species*'  in  kollektivem  Sinne  annimmt,  wie  es 
Nizolius  tut,  also  gleich  „omnia  animalia  simul  sumta"  und 
dieses  einsetzte,  der  ebenso  ungereimte  Satz  :  Homo  est  omnia 
animalia  simul  sumta.  Vielmehr  hat  der  Satz  distributiven 
Sinn  und  bedeutet  soviel  wie:  omnis  homo  est  quoddam 
animal  seu  aliquod  ex  universo  genere  aniraalium.  Ebenso 
ist  der  Satz:  Socrates  est  homo,  in  dem  ,,homo"  genus  ist, 
nicht  gleich:  Socrates  est  omnis  homo — kollektiv — sondern 
gleich  :  Socrates  est  quidam  homo  —  partikulär.  Es  kann 
dann  daher  überhaupt  nie  ein  „universale",  sondern  immer 
nur  ein  „particulare"  vom  Niederen  (de  inferioribus)  prä- 
diziert  werden.^)" 

Mit  schlagenden  Gründen  hat  hier  Leibniz  gegenüber 
dem  Ultranominalismus  des  Nizolius  bewiesen,  dass  die  all- 
gemeinen und  notwendigen  Urteile,  die  demonstrativen  Wahr- 
heiten keine  Kollektivurteile  sind,  dass  es  sich  in  ihnen  nicht 
um  eine  Snmmation  von  Subjekten  der  Aussage  handelt, 
und  dass  ebenso  die  abstrakten  Begriffe  nicht  Begriffe  von 
kollektiven  Ganzen  sind,  sondern  dass  sie  das  Einzelne  und 
Besondere  unter  sich   befassen  und  distributiv  sind. 2) 

Nizolius  setzt,  um  zu  seinem  ,, Universum"  zu  kommen, 
die  Tätigkeit  der  ,,comprehen8io"  aller  Einzeldinge  zu  einem 
Ganzen,  im  Gegensatz  zu  seinen  Gegnern,  die  zu  ihrem 
,, universale"  gelangen  durch  die  Abstraktion  von  der  Materie 
zum  Allgemeinen.^)  Weil  die  ,,universalia",  das  Ergebnis 
der  Abstraktion,  falsch  sind,  muss  für  Nizolius  auch  letztere 
falsch  sein.  Nach  seiner  ,,komprehensiven"  Abstraktion  sind 
daher  die  „res  naturales"  nicht    weniger    abstrakt  und  lassen 


1)  N.  I.  IV.  25. 

-■)  Gerh.  IV.  160.     Dazu  vergl.  auch  Kab.  H3  ft". 

y)  N.  IJI.  VII.  2bh  S. 


-  62  — 

sich  nicht  weniger  ohne  Materie  definieren  als  die  ,,res  ma- 
theniaticae"  z.  B.  candor  est  color  contrarius  nigritiei.  Aber 
Leibniz  bemerkt,  diese  Definition  sei  nichtig;  denn  ebenso 
könnte  man  definieren  :  nigrities  est  color  contrarius  candori, 
und  so  würde  ein  Zirkel  entstehen.^) 

Wenn  Nizolius  ferner  erklärt,  die  mathematischen 
Dinge  (curvus)  unterschieden  sich  von  den  realen  (simus)  nur 
dadurch,  dass  letztere  ein  bestimmtes  ,,8ubjectum"  haben, 
während  das  bei  ersteren  nicht  der  Fall  sei,  so  ist  das  nach 
Ansicht  Leibnizens  ganz  genau  auch  die  Meinung  der  Scho- 
lastiker, nur  dass  sie  es  weniger  treffend  ausdrücken.  Man 
könne  also  z.  B.  ein  „spatium  curvum"  durchaus  denken, 
auch  wenn  man  alle  Körper  aufhebt,  nicht  aber  unter  der 
letzten   Voraussetzung  einen  schwarzen  Gegenstand. 

Der  Irrtum  des  Nizolius  betreffs  seiner  falschen  Univer- 
salia  ist,  wie  Leibniz  ausdrücklich  hervorhebt 2)^  kein  leichter; 
denn  er  hat  noch  etwas  Bedeutendes  im  Gefolge.  „Wenn 
die  ,,universalia"  nichts  anderes  sind  als  „coUectiones  singu- 
larium*',  so  folgt,  dass  es  kein  demonstratives  Wissen, 
sondern  nur  ein  Wissen  durch  Induktion  gibt.  Auf  diese 
Weise  werden  alle  Wissenschaften  von  Grund  aus  aufge- 
hoben. Durch  Induktion  nämlich  lassen  sich  nie  vollkommen 
allgemeine  Sätze  aufstellen,  da  man  nie  sicher  ist,  alle  Indi- 
viduen untersucht  zu  haben,  und  daher  diese  Art  Allgemein- 
heit, weil  sie  sich  auf  die  jeweilige  Erfahrung  beschränkt,  mit 
der  Möglichkeit  zu  rechnen  hat,  dass  die  unzähligen  Dinge, 
die  man  nicht  erfahren  hat,  sich  anders  verhalten  können. 
Es  ist  nicht  einmal  eine  ,,certitudo  moralis  vel  practica"  durch 
Induktion  allein  erreichbar,  sondern  nur  in  Verbindung  mit 
folgenden  allgemeinen  Sätzen,  die  ihrerseits  nicht  auf  Induk- 
tion, sondern  auf  einer  „allgemeinen  Idee  oder  der  Definition 
der  Begriffe"  beruhen. 3)  Dieser  „propositiones  universales" 
oder  ,,adminicula",  wie  Leibniz  sie  auch  nennt,  gibt  es  drei. 

1.  Ist  die  Ursache  in  allen  Fällen  ein  und  dieselbe 
oder  eine  ähnliche,  so  ist  auch  die  Wirkung  in  allen  Fällen 


1)  Vergl.  Batistella  67. 

2)  G.  IV.  160. 

3)  G.  IV.  161  „idea  universalis  seu  definitio  terminorum". 


—  63  — 

■dieselbe  oder  ähnlich.  2.  Was  man  als  nicht  vorhanden 
empfindet,  nimmt  man  auch  nicht  als  vorhanden  an.  3.  Was 
man  als  nicht  vorhanden  annimmt ,  gilt  auch  in  praxi 
gleich  Null.i) 

Damit  ist  dargetan,  dass  die  Kausalurteile  und -Schlüsse 
aus  der  Erfahrung  nur  möglich  sind  unter  Zuhilfenahme 
von  letzten  allgemeinen  und  notwendigen  Sätzen,  mag  man 
diese  nun  als  Axiome  oder  Postulate  der  Erfahrung  oder 
«onstwie  bezeichnen. 2) 

,,Eine  vollständige  Gewissheit  darf  man  jedoch  von  der 
Induktion  auch  unter  Zuhilfenahme  von  Allgemeinsätzen, 
■welche  auch  immer  es  sein  mögen,  nicht  erwarten,  und  den 
Satz:  Das  Ganze  ist  grösser  als  sein  Teil,  wird  man  durch 
Induktion  allein  nie  vollständig  erkennen." 

Die  induktiven  Sätze  aber  können  weder  als  Einzel- 
noch  als  Allgemeinurteile  an  und  für  sich  irgendwelche  Ge- 
wissheit besitzen,  nicht  einmal  moralische,  geschweige  denn 
absolute.  Denn  1.  besteht  Gewissheit  in  der  Klarheit  der 
Wahrheit,  diese  Klarheit  aber  darin,  dass  die  Bedeutung  der 
Worte  vollständig  bekannt  ist,  was  nur  dann  möglich  ist, 
wenn  sie  durch  Definition  genau  fixiert  ist.  Induktive  Sätze 
sollen  sich  aber  nicht  in  Definitionen  auflösen  lassen;  2.  aber 
können  wir,  wie  gesagt,  bei  allgemeinen  Induktionssätzen, 
welche  nach  Leibniz  blosse  Kollektivsätze  sind,  niemals  wissen, 
ob  wir  alle  Fälle  betrachtet  haben.  ^) 

Ferner  kann  man,  so  behauptet  Leibniz,  durchaus  nicht 
zugeben,  dass  Nizolius  die  „demonstratio''*),  wie  sie  Aristo- 
teles dargestellt  hat,  aus  der  Wissenschaft  verbannt  und 
letzteres  mit  unrichtigen  Argumenten,  nämlich  besonders, 
weil  sich  die  ,,universalia"  nicht  „in  rerum  natura"  fänden 
und  ferner  die  Interpreten  bis  jetzt    trotz  grosser  Bemühung 


1)  ibidem.  1.  Si  eadem  vel  per  omnia  similis  est  causa,  idem 
"vel  per  omnia  similis  est  effectus.  2.  Existentia  rei,  quae  non  senti- 
tur,  non  praesumitur.  3.  Quidquid  non  praesumitur,  in  praxi  habeu- 
■dum  est  pro  nulle,  antequam  probetur." 

2)  Kab.  35. 

3)  G.  IV.  139  u.  161.     Dazu  vergl.  Kab.  34  f. 

4)  G.  IV.  lr.9. 


-  64  — 

vergebens  nach  dem  Beispiel  einer  solchen  Demonstratio  ge- 
sucht hätten.  Was  die  erste  Behauptung  angeht,  so  be- 
hauptet Leibniz,  es  genüge  „ad  demonstrandum",  dass  die 
„Nomina"  universalia  sind.  Betreffs  des  letzten  Punktes 
aber  ist  Leibniz  der  gegenteiligen  Ansicht,  dass  man  hier 
und  dort  in  den  Aristotelischen  Schriften,  ja  selbst  bei  Ni- 
zolius,  genauen  und  vollständigen  Beweisen  begegne.  Wenn 
Nizolius  ferner  behauptet,  dass  man  in  einem  Zeitraum  von 
ungefähr  2000  Jahren  nicht  habe  herausbringen  können, 
welches  das  „medium  potissimae  demonstrationis"  und  welches 
und  wie  beschaffen  seien  „nonnullae  particulae  in  eins  defi- 
nitione  appositae",  so  entgegnet  Leibniz  hierauf,  dass  die 
Natur  der  Demonstratio  zur  Genüge  erklärt  hätten  Viottus^ 
Cornelius  Martini,  Joach.  Jungius  und  Joh.  a  Felden,  vol- 
lends alle  Mathematiker.^)  Nichts  sei  wahrer  und  vorzüg- 
licher erkannt  als  gerade  sie.  Leibniz  gibt  betreffs  der  Frage 
nach  dem  „medium"  der  Erklärung  des  Thomas  von  Aquina 
Recht,  der  als  „medium''  annimmt  ,,utramque  definitionen  tarn 
subjecti  quam  praedicati".  Schliesslich  bringt  auch  Leibniz 
ein  Beispiel  einer  ,,perfectissima  demonstratio":  „Jeder  Körper 
ist  im  Räume.  Alles,  was  im  Raum  befindlich,  kann  in 
einem  anderen  Raum  sein  (weil  es  für  jeden  Raum  einen 
anderen  aequale  se  simile  spatium  gibt);  alles,  was  in  einem 
anderen  Räume  sein  kann,  kann  seinen  Raum  ändern.  Was 
seinen  Raum  zu  ändern  vermag,  ist  beweglich.  Also  ist  jeder 
Körper   beweglich." 

Die  Verwerfung  der  Dialektik  und  der  Metaphysik, 
zu  der  Nizolius  auf  Grund  der  Verneinung  der  Universalien 
gelangte,  ist  nach  Leibniz'  Ansicht  einer  der  grössten  Irr- 
tümer des  italienischen  Philosophen ;  denn  auch  die  Nomina- 
listen haben  an  ihnen,  indem  sie  sich  auf  dieselben  Prinzipien 
stützten,   festgehalten.^) 

Wenn  Nizolius  behauptet,  dass,  wenn  die  Universalien 
falsch  seien,  hiermit  auch  die  Dialektik  falle,  so  bezeichnet 
Leibniz  das  als  nicht  richtig.^)     Denn    nicht    weniger   hätten 

1)  N.  IV.  III.  321.  Siehe  auch  G.  IV.  155. 

2)  G.  IV.  159. 

3)  N.  I.  VII.  47. 


-  65  - 

die  Nominalisten  als  andere  sich  der  aristotelischen  Dialektik 
bedient  und  das  mit  Recht.  „Denn  wenn  unter  den  Be- 
zeichnungen nur  die  wahr  sind,  die  gewöhnlich  den  Dingen 
beigelegt  werden,  so  steht  alles  gut,  wenn  wir  jene  Namen 
zur  Erklärung  der  Dinge  verwenden." 

Wenn  ferner  Aristoteles  der  Dialektik  dasselbe  subjec- 
tum  unterlegt  wie  der  Rhetorik,  nämlich  „omnes  res 
mundi*',  so  gibt  ihm  Leibniz  im  Gegensatz  zu  Nizolius  Recht. 
Denn  das  subjectum  der  Dialektik  sei  die  ,,cogitatio",  der 
Rhetorik  der  „sermo  omnium  rerum''.^)  Da  mithin  alle  Dinge 
unter  dem  Gesichtspunkte  des  Denkens  wie  der  Rede  gefasst 
werden  könnten,  so  ergebe  sich,  dass  —  wie  Aristoteles 
richtig  behaupte  —  sowohl  die  Dialektik  wie  die  Rhetorik 
sich  mit  allen  Dingen  befasse. 

Was  die  Metaphysik  angeht,  so  behauptet  Leibniz  2),  es 
könne  doch  niemand  leugnen,  dass  es  „quaedam  praecepta 
pietatis  naturalis  seu  scientiae  de  summa  rerum,  id  est  Meta- 
physicae"  gebe.  Wenn  Nizolius  die  Metaphysik  deswegen 
als  besonders  falsch  bezeichnet,  weil  ihr  Gegenstand  das 
„universale  universalissimum"  d.  i.  das  „ens  qua  ens"  (tö  ov 
•^  öv)  als  nicht  existierend  falsch  sei,  so  ist  diese  „disputatio'' 
für  Leibniz  töricht.  „Denn  es  ist  dasselbe,  zu  sagen  mit 
den  Scholastikern,  das  Subjekt  der  Metaphysik  sei  das  „ens 
in  quantum  ens",  oder  mit  Nizolius,  das  „genus  rerum  qua 
res  sunt". 

Nizolius  habe  auch  Unrecht,  wenn  er  die  Erklärung  der 
„praedicata  generalissima  et  universalissima"  (ens,  unum,  ali- 
quid, verum,  bonum,  actus,  potentia  u.  s.  w.)  als  ,,nomina  vel 
vocabula"  der  Grammatik  und  den  Lexikographen,  nicht  aber 
der  Metaphysik  zuweist,  da  nur  die  Grammatik  die  Auf- 
gabe habe,  „omnes  voces  contemplari".  Leibniz  bestreitet, 
dass  letzteres,  nämlich  die  Behandlung  der  Worte,  die  Auf- 
gabe der  Grammatik  sei,  vielmehr  befasse  dieselbe  sich  da- 
mit, „communia  de  vocibus  tradere".  Jedem  einzelnen 
Wissenszweig  sei  es  eigen,    die  Ausdrücke  zu  geben  und  zu 


1)  N.  III.  V.  223. 

2)  G.  IV.  159. 

iienaiü.sHiH'o  luid  Philosophie.  Heft  V. 


-  66  — 

erklären  (tradere  voces  et  explicare),  mit  denen  er  sein  sub- 
jectuni  und  dessen  Teile,  species  und  affectiones,  bezeichnen 
will.  Die  Lexika  aber  seien  nichts  weiter  als  Exzerpte  aus 
verschiedenen   Wissenschaften  alphabetisch  geordnet. 

,,Wenn  endlieii  Nizolius  behauptet,  die  Metaphysik  be- 
sitze keine  Syllogismen,  Induktionen  und  Modi  „argumen- 
tandi"*),  sondern  raüsste  diese  alle  entweder  der  Dialektik 
oder  der  Rhetorik  entleihen,  so  könnte  man  mit  demselben 
Rechte  sagen,  dass  auch  die  Physik  nichts  beweise,  die  ja 
ebenfalls  ihre  Argumente  den  Dialektikern  und  Rhetorikern 
entl-ehnt".  Mit  all  seinen  Angriffen  bringt  Nizolius,  wie 
Leibniz  sagt,  nichts  vor,  was  die  Prinzipien  der  Dialektik 
und  Metaphysik   erschüttern  könnte, 

Nizolius  teilt  2)  die  ganze  „encyclopaedia"  mit  Ausschluss 
der  Metaphysik  und  Dialektik  in  zwei  grosse  Hälften,  die  „pars 
philosophica"  und  ,,p.  oratoria",  sive  ,,sapientia  et  eloquentia", 
die  beide  ein  und  dieselbe  ,, facultas"  aus  Sachen  und  Worten 
gleichsam  wie    aus  Körper    und  Seele    bestehend    ausmachen. 

Die  Philosophie  teilt  er  wiederum  in  die  ,,philosophia 
naturalis"  oder  Physica  und  die  „philosophia  civilis  sive  Po- 
litica'^  Die  Oratoria  lässt  er  ungeteilt,  und  kommt  somit 
im  Prinzip  auf  die  Dreiteilung  der  Alten  in  Physik,  Ethik 
und  Logik  zurück,  nur  dass  er  statt  der  Ethik  die  Politik, 
die  die  Ethik  als  Teil  unter  sich  fasse,  und  an  Stelle 
der  griechischen  ,, Logice"  die  nach  seiner  Ansicht  ent- 
sprechende lateinische  Bezeichnung  „Oratoria"  setzt  (Logice 
nicht  von  XoYiC^tv,  sondern  von  Xo^o?  ;  daher  oratoria  !).  Diese 
drei  Teile  zerfallen  nun  wieder  —  die  Physik  in  die  Theo- 
logie(!),  Meteorologie,  Geographie,  Physiologie  u.  s.  w.  •,  die 
Politik  in  die  Ethik,  spezielle  Politik,  Oekonomik,  Jus  civile 
u.  s.  w. ;  die  Logik  (Oratoria)  in  Grammatik,  Rhetorik, 
Poetik,  Historik  u.  s.  w.^) 

Hierauf  hat  Leibniz  zu  sagen,  dass  ein  Festhalten  an 
der  Drieteilung    nicht    hindere,    die  Teile  derselben    genauer 


1)  N.  III.  V.  251. 

2)  N.  III.  III.  204  ff. 

3)  N.  a.  a.  0.  216. 


—  67  — 

zu  scheiden  und  der  Dialektik  getrennt  von  der  Rhetorik, 
wie  es  auch  für  die  Grammatik  gelte,  ebenso  der  Metaphysica 
seu  Theologia  getrennt  von  der  Physik,  wie  auch  für  die 
Mathematik,  eine  Stelle  anzuweisen.  0  Allerdings  ist  Leibniz  mit 
Nizolius  darin  eins,  dass,  wie  die  Meinung  derer  nicht  gebilligt 
werden  dürfe,  die  die  ,,Oratoria"  von  der  Rhetorik  trennen 
und  jener  die  Lehren  über  die  Erregung  der  Affekte,  dieser 
diejenigen  über  die  Feinheit  der  Ausdrucksweise  zuschreiben 
wollen,  so  man  umgekehrt  denen  beistimmen  müsse,  die  zu- 
gleich die  Lehre  des  Denkens  und  der  Redeweise  (praecepta 
cogitandi  et  genus  dicendi)  als  Teile  der  Logik  angesehen 
wissen  wollen,  da  ja  ein  jeder  Akt  des  Denkens  und  Wollens 
mit  Worten  verknüpft  und  in  ebendenselben  Regeln  zugleich 
die  Art  und  Weise,  den  Affekt  zu  erregen,  als  auch  die  Ge- 
danken zu  regieren  und  die  Vorschriften,  hierzu  die  passenden 
Worte  zu  wählen,  enthalten  seien.  2)  Nizolius  fordere  daher 
mit  Recht  in  der  Behandlung  der  Logik  eine  ,,exacta  ratio 
dicendi". 

Leibniz  glaubt  nach  genauer  Erwägung  folgende  schöne 
Harmonie  der  Wissenschaften  erkannt  zu  haben 3),  indem 
ihm  die  Theologie  oder  Metaphysik  handelt  de  rerum  Effi- 
ciente  nempe  Mente,  die  Ethik  de  rerum  Fine  nempe  Bono 
(die  Philosophia  Moralis  seu  Practica  seu  Civilis  ist  ihm  ein 
und  dieselbe  Wissenschaft),  die  Mathematik  (und  zwar  die 
reine,  die  übrige  ist  ein  Teil  der  Physik)  de  rerum  Forma 
nempe  Figura,  die  Physik  de  rerum  Materia  et  Motu. 

Nizolius  behauptet,  wenn  die  üniversalien  zugestan- 
denermassen  richtig  wären,  so  könnte  es  nur  eines  geben, 
nämlich  das  genus*);  von  den  übrigen  vier  sei  die  species 
gar  kein  Universale,  da  es  ,,ut  species"  eben  immer  ,,8ur- 
sum"  zum  genus  emporblicke,  niemals  aber  „deorsum  ad 
aliqua  sibi  subjecta".     Ferner  sei  die  differentia  nichts  anderes 


1)  G.  IV.  150. 

2)  Vergl.  pg;.  37  dieser  Abhandlung:. 

3)  G.  a.  a.  0. 

4)  N.  I.  IX.  76  ff. 


—  68  — 

als  ein  genus  differens,  das  proprium  ein  genus  proprium^ 
das  accidens  ein  genus  accidens  d.  h.  die  drei  letzten  Univer- 
salien liessen  sich  auf  das  genus  zurückführen.  Denn  im 
allgemeinen  Sprachgebrauch  sei  es  richtiger  zu  sagen  „homo 
est  in  genere  rationalium  raortalium"  als  „in  difFerenti» 
rationalium    et   in  difFerentia  mortalium". 

Leibniz  ist  gegenteiliger  Ansicht,  i)  Er  hält  es  für  nicht 
richtig,  zu  sagen  :  ,,homines  in  genere  rationalium  mortalium 
contineri",  weil  das  genus  hominum  und  das  genus  rationalium 
mortalium  einen  gleich  weiten  Umfang  haben.  Das  genus  huma- 
num  könne  daher  keine  species  sein  zum  genus  rationalium 
mortalium.  Es  müssen  ferner  nach  Leibnizens  Ansicht  durchaus 
Nomina  universalia  angenommen  werden.  „Das  Universale 
ist  entweder  Subjekt  und  heisst  als  solches  species,  oder  aber 
Prädikat.  Letzteres  ist  entweder  notwendig  oder  zufällig. 
Das  notwendige  Prädikat  ist  entweder  species  „Totius"  und 
heisst  genus,  oder  ihm  äqual  und  heisst  differentia,  oder  aber 
enger  und  heisst  proprium.  Das  zufällige  nennt  sich  accidens." 
Im  engeren  und  eigentlichen  Sinne  unterscheidet  Leibniz 
allerdings  nur  zwei  Universalia,  nämlich  genus  und  species.^) 
Die  übrigen  drei,  die  Adjektiva  seien,  seien  praedicabilia, 
keine  „universalia".  Nicht  das  Rationale  ist  ein  Universale,^ 
sondern  nur  das  „Ens  rationale". 

Unter  seinem  ,,g  e  n  u  s"  versteht  Nizolius  aber,  wie 
früher  dargelegt,  als  einer  multitudo  singularium  ein  „nomen 
appellativum  collectivum  sive  comprehensivum"^)  und  „totum 
discretum  ex  omnibus  suis  speciebus  tam  individuis  quam 
dividuis  compositum".^)  Dieses  genus,  eine  Gesamtheit  von 
Einzeldingen,  über  das  sich,  wie  Nizolius  lehrt,  allein  Wissen- 
schaften aufstellen  lassen,  hat  immerwährenden  Bestand.  Das^ 
genus  rosarum  existiert  immer,  ist  gewesen  und  wird  sein,  auch 
wenn  es  ,,in  praesentia"  keine  Rosen  geben  sollte.  Für  Leib- 
niz ist  dieses  genus  rosarum,  das  gleich  der  multitudo  rosarum 


1)  N.  I.  IX.  77. 

2)  N.  I.  VI.  44. 

3)  N.  II.  I.  97. 

4)  ibidem  ^4. 


—  69  - 

praeteritarum,  praesentium ,  et  futurarum  omnium  simul 
«umtarum  sein  soll,  gar  nicht  denkbar,  da  es  nicht  existiere; 
<lenn  unmöglich  könnten  „praeterita  et  futura  simal  sumta"^) 
existieren. 

Bezüglich  des  Verhältnisses  von  genus  und  species  be- 
kämpft Nizolius  die  Ansicht  des  Aristoteles,  dass  ein  genns 
und  dessen  species  immer  derselben  Kategorie  angehören 
müssen. 2)  Er  glaubt  diese  Behauptung  des  Aristoteles  ein- 
schränken zu  sollen  auf  das  genus  essentiale,  nicht  aber 
treffe  sie  zu  beim  ,, genus  accidentale  et  extraneum".  Hier 
könne  die  Sache  einer  Kategorie  genus  der  Sache  einer 
anderen  Kategorie  sein,  und  man  könne  z.  B.  richtig  sagen : 
cygnum  esse  in  genere  alborum. 

Hierzu  bemerkt  Leibniz  :  ,, Konkreta,  nicht  Abstrakta 
verschiedener  Kategorien,  können  sich  gegenseitig  genus  sein. 
Die  concreta  qualitatum  (albus)  gehören  aber  nicht  zu  den 
Kategorien  der  Qualitäten,  sondern  der  Substanzen.  Denn 
was  ist  doctum  anderes  als  eine  docta  substantia!  Einige  jedoch 
sind  auszunehmen  (wie  bonum),  die  auch  richtig  in  concreto 
de  accidentibus  abstractis  ausgesagt  werden  können,  z.  B, 
virtus  est  bona,  nicht  virtus  est  bonitas.  Ausserdem  verhalten 
sich  die  „relationes"  zu  den  ,,qualitate3"  wie  die  ,,modi''  zu 
den  „substantiae".  Daher  heisst  es  richtig  :  ,, virtus  est  similis 
scientiae,  nicht  similitudo." 

Ebenso  erklärt  Nizolius  die  Ansicht  des  Aristoteles,  dass 
alle  genera  „essentialia  et  inseparabilia  a  suis  speciebus" 
seien,  für  falsch  und  nichtig,  da  auch  dies  wiederum  nur  gelte 
für  die  „genera  essentialia",  wie  z.  B.  das  genus  animalium 
gegenüber  homines.  Dagegen  träfe  diese  Notwendigkeit  nicht 
zu  bei  den  genera  accidentalia  et  extrinseca.  Obgleich  das 
Wasser,  wenn  es  warm  sei,  zum  „genus  calidorum"  gehöre,  so 
könne  man  doch  das  „calidum"  (genus  accidentale)  vom  Wasser 
(species)  trennen  und  letzteres  in  den  gegenteiligen  Zustand 
des  „frigidum"  verändern,  so  dass  dieses  „frigidum''  nun- 
mehr genus  des  Wassers  werde. 


1)  N.  II.  I.  111. 

2)  N.  IV.  I.  291. 


-  70  — 

Leibniz  ist  der  Ansicht,  dass  es  sogar  nach  den  Nizo- 
lianischen  Prinzipien  wahr  bliebe,  dass  das  genus  von  seinen 
species  nicht  trennbar  ist.  „Denn  species  von  cahdum  ist 
nicht  aqua,  sondern  aqua  calida.  Nunmehr  würde,  wenn- 
gleich „calidum  esse''  sich  trennen  lässt,  der  Satz,  dass 
„calida"  aqua  auch  nicht  warm  sein  könnte,  zu  einem  Wider- 
spruch führen".!) 

Nizolius  behauptet,  dass  die  species  kein  Universale  sein 
könne,  indem  sie  kein  subjectum  habe,  sondern  immer  selbst 
subjectum  eines  genus  sei.  Es  verhalte  sich  die  species  zum 
genus  wie  pars  zum  totum,  jedoch  nicht  dem  totum  conlinuum, 
sondern  dem  totum  discretum  ;  also  könne  man  sagen,  species 
ist  gleich  pars  totius  discreti.  Diejenigen  species,  die  nicht 
weiter  teilbar  sind,  wie  Socrates,  nennt  Nizolius  „species  spe- 
cialissimae  et  indivisibiles". 

Leibniz  bezeichnet  die  Gleichsetzung  der  species  mit 
pars  totius  discreti  als  falsch,  indem  er  bemerkt,  ein  Soldat 
könne  doch  gewiss  nicht  species  des  Heeres  genannt  werden.^) 

Bezüglich  des  proprium  bekämpft  Nizolius  die  An- 
sicht des  Aristoteles,  wenn  derselbe  lehre,  dass  das  proprium 
immer  bekannter  sein  müsse,  als  der  Gegenstand,  dem  es 
zukommt,  während  doch  im  Gregenteil  nur  ein  ,,mente  captus" 
behaupten  könne,  dass  z.  B.  das  „gannire"  bekannter  sei 
als  „vulpus"  und  „hinnire"  bekannter  als  „equus". 

Auch  hier  gibt  Leibniz  3)  dem  Aristoteles  Recht.  „Immer 
sind  die  „propria"  Merkmale  von  Dingen  und  müssen  als 
solche  bekannter  sein  als  die  Dinge.  Wer  einen  Fuchs  und 
einen  Hund  zugleich  sieht,  unterscheidet  diesen  von  jenem 
durch  die  Eigentümlichkeit  der  Figur;  wer  beide  zugleich 
hört,  unterscheidet  sie  durch  den  Unterschied  des  ,,gannitus". 
Auch  bei  jeglichem  anderen  Unterschiede  durch  propria  vel 
difFerentiae  sind  in  jedem  Falle  die  propria  bekannter." 

In  betreff  der  propria  behauptet  Nizolius  ferner,  dass 
nur  durch  solche  „ex  authoritate  Ciceronis  et  Q  u  i  n  t  i  1  i  a  n  i" 


1)  N.  IV.  I.  289. 

2)  N.  II.  II.  116. 
S)  N.  IV.  I.  299. 


-   71  — 

die  Deliniiton  konstituiert  würde,  nicht  aber,  wie  die  Dialek- 
tiker glaubten,  durch  difFerentiae;  vielmehr  würde  sie  durch 
letztere  aufgelöst. 

Leibniz  bezeichnet  diese  Ausführungen  des  Nizolius  als 
einen  Kampf  um  Worte  und  Haarspalterei  (Vitilitigatio)  ^) 
Denn  was  für  die  species  das  proprium  sei,  dasselbe  werde 
als  „differeutia"  gegenüber  dem  genus  verstanden.  Es  sei 
also  ein  und  dasselbe,  zu  sagen,  die  species  wird  definiert 
„per  genus  et  proprium  suum'',  oder  sie  wird  rlefiniert  ,,per 
genus  et  differentiam  generis". 

Im  Anschluss  hieran  befasst  sich  Nizolius  eingehender 
mit  der  D  e  f  i  n  i  ti  on.  Wie  jedes  ,,pioblema  de  proprio,  de 
differentia,  de  accidente",  so  ist  ihm  auch  das  „problema  de 
definitione"  nichts  anderes  als  ein  ,. problema  de  genrre'',  weil 
das  genus  untrennbar  mit  ihm  verknüpft  sei.  In  dem  Satze: 
homo  est  animal  rationale  mortale  ist  ihm  das  „animal  ratio- 
nale mortale"  mehr  ein  genus  als  eine  delinitio,  da  man  viel 
eigentlicher  sage  :  hominem  esse  in  ,,genere''  als  in  ,,de- 
finitione"  animalium  rationalium  mortalium.  Daher  habe 
Aristoteles  mit  Unrecht  genus  von  differentia,  proprium, 
accidens  und  definitio  getrennt,  obwohl  doch  letztere  gleichsam 
species  generis  s-ien 

Leibniz  erwidert  hierauf,  dass,  wenn  auch  fast  jedes 
praedicatura  ein  genus  sei,  so  dennoch  nicht  ein  genus,  das 
sein   subjectum  gleichsam   als  species  enthalte. 

Genau  wie  die  Wissenschaften  und  Künste,  so  dürfen  sich 
nach  Nizolianischer  Ansicht  auch  die  Dt-finitionen  nur  mit 
den  Einzeldingen  befassen  aus  den  früher  dargelegten  Gründen. 
Also  gehören  die  Definitionen  im  eigentlichen  Sinne  zu  den  res, 
nicht  zu  den  nomina  und  voces.  ,,Die  wahre  ,,esseutia",  die 
durch  die  Definitionen  zu  erklären  ist,  liegt  nämlich  nicht  in  den 
Worten  des  Mundes  oder  in  den  Begriffen  des  Verstandes,  sondern 
ausserhalb  des  Bereiches    derselben  in    den   Dingen  selbst".-) 

Leibniz  ist  anderer  Ansicht  und  behauptet:  ,,Die 
Definition  ist  nichts  anderes  als  eine  ,,accurata  nominis  expli- 


1)  N.  IL  V.   148. 

2)  N.  II.  I.  f6. 


-  72  — 

catio"  oder,  wie  er  an  anderer  Stelle  ^)  sagt,  „definitio  nihil 
aliud  est  quam  significatio  verbis  expressa  seu  brevius  significatio 
significata".  Damit  ist  die  Definition  für  Leibniz  nichts  anderes 
als  Worterklärung ;  demnach  wäre  alle  Definition  Nominaldefini- 
tion, wie  sie  dies  und  nur  dies  auch  wirklich  im  eigent- 
lich logischen  Sinne  ist.  Leibniz  unterscheidet  aber  von 
dieser  Nominaldefinition  im  logischen  Sinne  die  Realdefinition 
in  der  Metaphysik,  die  stets  Kausaldefinition  sein  muss.*) 

Auch  könne  man  nicht,  wie  Nizolius  dies  tue,  von  einer 
falschen  Definition  sprechen  ^),  vielmehr  nur  von  einer  „defi- 
nitio inepta  aut  mala''  ;  denn  auch  der  wahrste  Satz  sei,  wenn 
er  nicht  umkehrbar  ist,  noch  keine  Definition. 

Recht  aber  gibt  Leibniz  dem  Nizolius,  wenn  er  die  Lehre 
des  Galenus,  dass  die  Definition  „essentiam  totius  rei  defi- 
nitae"  erklären  müsse,  bestreitet  und  behauptet,  dass  diese 
„essentialis"  definitio  weniger  eine  Definition  als  eine  „expli- 
catio  et  enumeratio  quaedam  omnium  causarum  et  qualitatum 
rei"  sei  und  als  solche  viel  Ueberflüssiges  enthalte.  Es  genüge 
für  die  Definition  eines  zu  definierenden  Dinges,  wenn  letzteres 
zuerst  in  sein  genus  commune  und  dann  in  sein  genus  proprium 
ac  privatum  gesetzt  werde.  Beispiele  von  definitiones  perfectae, 
die  in  dieser  Weise  ex  genere  communi  et  genere  proprio  hervor- 
gehen, fänden  sich  in  der  Mathematik,  z.  B.  „das  Dreieck  ist 
eine  Figur  mit  drei  Winkeln,  die  gleich  zwei  Rechten  sind". 
Hierin  sei  figura  das  genus  commune,  habere  tres  angulos 
aequales  tribus  rectis  das  genus  proprium. 

Diese  Definition  einschränkend,  behauptet  Leibniz^): 
„So  würde  kein  Mathematiker  das  Dreieck  definieren.  Es 
genügt  zu  sagen,  das  Dreieck  ist  eine  Figur  von  drei 
Winkeln,  woraus  man  ohne  weiteres  schliesst,  dass  dieselben, 
da  sie  das  Dreieck   schliessen,  gleich  zwei  Rechten  sind". 

Als  vollendete  Definition  der  Künste  und  Wissenschaften 
gibt  Nizolius  folgende :    scientia    est    cognitio    rei    vel  rerum 


1)  G.  IV.  140. 

2)  Vergl.  Kab.  31  ff. 

3)  N.  II.  V.  152. 

4)  ibidem  149. 


—  73  — 

scitu  dignarum,  cognitu  difFicilium  et  vulgo  ignotarura,  worin 
cognitio  genus,  die  übrigen  Teile  propria  seien. 

Auch  diese  Definition  schränkt  Leibniz  ein  ^),  indem 
er  das  letzte  proprium  für  überflüssig  erklärt;  denn  was 
schwierig  zu  erkennen  sei,  das  sei  im  gewöhnlichen  auch 
unbekannt. 

ß)  Die  Prädikamente. 

Nizolius  nimmt  ferner  mit  den  Prädikamenten^j 
■(Kategorien)  eine  Umänderung  vor.  Aristoteles  nahm  deren 
bekanntlich  10  an:  Substanz,  Quantität,  Qualität,  Tun,  Leiden, 
Lage,  Haben,  Wo,  Wann  und  Relation.  Nizolius  statuiert 
zunächst  eine  Zweiteilung.  Sein  genus  generalissimum,  d.  i. 
das  genus  rerum,  zerfällt  in  zwei  species  oder  Formen,  in 
Substanzen  und  Qualitäten.  Letztere  unterscheidet  er  als 
genus  und  species.  Die  qualitas  generalis  umfasst  neun 
species  oder  accidentia  und  zwar  1.  die  qualitas  ut  species, 
2.  quantitas,  3.  actio,  4.  passio,  5.  causa,  6.  locus,  7.  tempus, 
■8.  situs,  9.  habere. 

Leibniz  bemerkt  zu  diesem  Qualitätenunterschied  des 
Nizolius:  „Es  gibt  nicht  zwei  Qualitäten,  sondern  zwei  Auf- 
fassungen des  Wortes  Qualität.  Die  ,, qualitas  generalis'* 
möchte  ich  lieber  des  Unterschiedes  halber  „modus"  nennen. 
Denn  wer  dieselben  Ausdrücke  in  verschiedenem  Sinne  ge- 
braucht, der  muss  tropisch  werden,  was  ein  Philosoph  zumal 
bei  Konstituierung  der  wichtigsten  Ausdrücke  nicht  darf." 
Den  Ausdruck  „Modus"  zieht  Leibniz  dem  des  „Accidens" 
vor,  weil  sich  viele  Modi  vom  Subjekt  nicht  trennen  Hessen 
ohne  Korruption  des  letzteren,  z.  B.  die  Wärme  vom  Feuer. 

Als  fünfte  Kategorie  führt  Nizolius  die  causa  an.  Er 
will  unter  ihr  verstanden  wissen  die  „authores  sive  causae 
«fficientes",  die  ,,materiae  rerum'*  und  die  „fines  sive 
causae  finales".  Zu  dem  Begriff  der  Relation,  dem  :rpö:;  t: 
des  Aristoteles,  bemerkt  Nizolius,  dass  letzterer  diese  Kate- 
gorie mit  Unrecht  als  gesondert  von  den  übrigen  Akzidentien 


1)  N.  II.  V.  150. 

'2)  N.  II.  IX,  X,  XI.  168  ff. 


-  74  - 

getrennt  habe,  da  sü  gut  wie  keine  Qualität  so  absolut 
existiere,  dass  sie  nicht  in  Beziehung  gebracht  werden  könne. 
Aristoteles  habe,  indem  er  diese  überflüssige  Kategorie  setzte, 
zug^leich  den  Fehler  begangen,  dass  er  die  Kategorie  der 
, causa''  fortliess.  Denn,  wenn  man  ihn  fragen  würde,  zu 
welcher  Kategorie  z.  B.  „esse  marmoreum  vel  ligneum"  (in 
domo)  gehöre,  so  würde  er  dies  nicht  erklären,  noch  auch  auf 
irgend  eine  Kategorie  zurückführen  können.  El)enso  habe 
Aristoteles  auch  in  anderen  Teilen  manches  ausgelassen, 
z.  B.  in  der  qualitas  specialis  das  „esse  divitem  vel  pauperem, 
nobilem  vel  ignobilem",  d.  h.  „statum  et  conditionem  perso- 
narum  aliarumque  rerum",  was  sich  offenbar  auf  keine  Aristo- 
telische Kategorie  zurückführen  lasse. 

Demgegenüber  bemerkt  Leibniz,  dass  sicli  „dives"  auf 
„nummus",  „nobilis"  auf  „parentes"  zurückführen  lasse,  und 
beide  daher  keine  Qualitäten,  sondern  Relationen  seien. 
Ebenso  würde  auch  Aristoteles  jenes  „marmoreum  vel  lig- 
neum"  auf  die  Kate:^orie  ;rpö<;  Tt  zurückführen.  Nizolius  aber 
habe  mit  Unrecht  die  Relation  durch  die  „causa"  ersetzt. 
Einerseits  hätte  er  wie  der  „actio"  die  ,,passio'  ,  so  seiner 
,, causa*'  gegenüberstellen  müssen  den  „effectus".  Anderei'- 
seits  sei  causa  Substanz,  dagegen  die  relatio  seu  causalitas 
Modus.  Endlich  gehöre  die  causa  efticiens  zur  actio,  die 
causa  materialis  zur  passio,  die  causa  finalis  überhaupt  zu 
keiner  Kategorie.  Denn  die  Kategorien  stellen  sich  im  Sinne 
Leibnizens  dar  als  die  wirklichen  Weisen,  in  welchen  das 
endliche  Sein  unabhängig  vom  menschlichen  Denken  in  sich 
besteht  und  infolgedessen  prädiziert  wird.  Die  „finis" 
aber  existiert  noch  nicht,  sondern  wird  vielmehr  erstrebt. 
Ueberhaupt  behält  Nizolius  nach  Leibnizens  Ansicht  die  neun 
species  accidentium  des  Aristoteles  im  ganzen  bei,  nur  dass 
er  die  ,, qualitas"  der  ,,quantitas"  vorangehen  lässt, — und  das 
allerdings  nicht  unrichtig  —  ,  ferner  die  causa  einsetzt  für  die 
relatio,  letzteres  aber  mit  Unrecht;  denn  die  Relation  der 
Aehnlichkeit  ist  unter  der  Relation  der  Kausalität  nicht  ent- 
halten. Ferner  setzt  er  statt  des  ,,Quando"  und  ,,Ubi" 
,,seu  localitas  et  duratio",  welches  Akzidentien  sind,  ,, locus'' 
und  ,,tempub",    welche  substantiellen  Charakter    tragen.     Es 


—  75  — 

blieben  nämlich  „locus''  und  „tempus"  bestehen  auch  wenn 
„omnia  locata  et  durantia"  aufgehoben  seien,  daher  würden 
sie  auch  in  substantivischer  Form  ausgedrückt.^) 

Y)    Die  Transzendentalien. 

Die  letzte  „destruktive"  Tat  des  Nizolius  ist  die  Ver- 
werfung der  sechs  Aristotelischen  Transzendentalien: 
ens,  unum,  aliquid,  verum,  bonum,  res. 2)  Eingehender  befasst 
sich  Nizolius  nur  mit  dem  ersten,  auf  das  ja  die  übrigen 
sich  zurückführen  Hessen.  Wie  bereits  früher  dargelegt,  ist  für 
Nizolius  das  ens  als  das  universale  universalissimum  auch  das 
falscheste  aller  Universalien.  Nizolius  versteht,  wie  unter 
jedem,  so  auch  dem  höchsten  Allgemeinbegriff  nichts  anderes 
als  die  Gesamtheit  der  unter  diesem  Namen  zusammenge- 
fassten  Einzeldinge.  Der  in  dieser  Weise  allgemeinste  Begriff 
ist  ihm  aber  nicht  das  „ens",  sondern  „res"  (im  figürlichen 
Sinne  für  omnes  res),  welch  letzteres  als  ,, verum  summum 
ac  generalissimum  genus"  „omnia  inferiora  ac  pene  innume- 
rabilia  genera"  enthält.  Es  zerfällt  dies  oberste  genus  nach 
Nizolius  in  substantias  (res  naturaliter  per  se  stantes)  und 
qualitates  et  accidentia  (res  in  alio  existentes).  Diese  sind, 
sowohl  die  Substanzen  wie  die  Qualitäten,  entweder  Einzel- 
dinge oder  Kollektionen,  tota,  von  solchen.^)  Das  Wort  res 
sei  überdies  allgemeiner  als  ens,  da  mit  res  nicht  nur  be- 
zeichnet werde    ,,quae  sunt",  sondern  auch  „quae  non  sunt". 

Dieser  letzten  empiristischen  Konsequenz,  die  vom  Sen- 
sualismus kaum  mehr  einen  Schritt  entfernt  ist,  tritt  Leibniz 
nachdrücklich  entgegen.  Er  behauptet:  „jedes  Ding  ,,est", 
und  alles,  was  res  ist,  und  alles,  was  existiert,  ist  ein  Ens; 
es  ist  daher  im  Gegenteil  jedes  ein  Ens,  daher  auch  jedes 
Ding  (res).  Ein  Ding,  das  nicht  „est",  ist  eine  res  ficta, 
oder  etwas,  das  res  genannt  wird,  aber  nicht  ist.  Ausser- 
dem ist  im  Sprachgebrauch  der  alten  Lateiner  Res  enger  als 
Ens  (=es8e)." 


1)  Verg-L  Bat.  64  f. 

2)  N,  IL  Vlll.   1G3  ff. 

3)  N.  I.  VI.  40. 


—  76  - 

„Die  Qualitäten  aber  nennt  man  nicht  res,  sondern 
Modi  rerum.  Daher  sagt  man  am  besten  so;  Irgend  etwas 
(aliquid)  ist  entweder  ein  ens,  oder  ein  non  ens.  Das  ens 
aber  ist  entweder  res  oder  modus." 

Die  Substanz  wird  nach  Nizolius  bezeichnet  durch  ein 
Substantiv,  die  Qualität  durch  ein  Adjektiv.  Ersteres  ant- 
worte auf  Quid,  letzteres  auf  Quäle,  i)  Nun  darf  man  auf 
<^uid  est  horao?  auch  antworten:  Rationale.  Denn  letzteres 
ist  nach  seiner  Ansicht  in  diesem  Falle  kein  adjectivum 
differentiae,  sondern  ein  nomen  substantivum  generis,  ein 
substantiviertes  Adjektiv  ähnlich  Animal.  Denn  wie  Animal 
<iurch  Apokope  entstanden  sei  aus  dem  Neutrum  des  Adjek- 
tives  ,,animalis'*,  nämlich  animale,  so  könne  man  in  analoger 
Weise  auch  sagen  Rational  statt  Rationale,  In  diesem  Sinne 
ist  also   Rationale  als  Substantiv  zu  fassen. 

Leibniz  hingegen  statuiert  zwischen  Substantiv  und  Ad- 
jektiv einen  anderen  Unterschied,  nämlich  den,  dass  in 
ersterem  tö  Ens  vel  Res  (primura  substantivum)  enthalten  sei 
(inest),  im  Adjektiv  dagegen  per  Ellipsin  ausgelassen  und 
<iaher  im  Geiste  zu  ergänzen  sei.  Es  sei  also  der  Satz  : 
homo  est  rationale  figürlich  und  elliptisch;  hinzuzudenken 
(subintelligendum)  sei  nämlich  ens,  oder  etwas  ähnliches. 
Wie  aus  capitale  (sc.  crimen)  Capital,  aus  animale  (sc.  ens) 
Animal  durch  Apokope  entstanden,  ähnlich  könne  man  aus 
rationale  Rational  hervorgehen  lassen.  Und  dann  könnte 
man  richtig  antworten  auf :  Quid  est  homo  ?  est  Rationale 
aber  auch  rationale,  jedoch  nur  wenn  ,,ens"  hinzugedacht 
werde.  Auf  Quäle  (sc.  ens)  oder  Qualis  est  homo?  laute  die 
Antwort:  Rationale  bezw.  Rationalis. 

In  seinem  Briefe  an  Thomasius  lässt  Leibniz  die  essentia 
von  der  qualitas  sich  nur  unterscheiden  durch  die  relatio  ad 
sensum^).  Ebendaselbst  nimmt  er  vier  entia  an:  Verstand, 
Raum,  Materie  und  Bewegung,  ausser  denen  es  keine  in  der 
Welt  gebe.3)  ,,Mens  est  ens  cogitans,  Spatium  est  ens  primo 
extensum,  seu  corpus  Mathematicum,  quod  scilicet  nihil  aliud 


1)  N.  I.  V.  35  ff. 

2)  G.  IV.  171. 
8)  ibidem. 


continet  quam  tres  dimensiones,  estque  locus  ille  universalia 
omnium  rerum;  Materia  est  ens  secundo  extensum  .  .  .  est 
ens  quod  est  in  spatio  coextensum;  Motus  est  rautatio  spatii." 
Aus  der  ganzen  Darstellung  geht  hervor,  dass  Nizolius^ 
wie  auch  Leibniz  bemerkt  i),  sich  als  Ziel  und  Aufgabe 
seiner  Untersuchung  gestellt  hat:  Die  Zerstörung  der 
Metaphysik  und  zwar  der  Metaphysik  der  Pseudophilosophen. 
Zu  letzteren  rechnet  er  als  ihr  Haupt  den  Aristoteles,  ferner 
dessen  Interpreten,  soweit  sie  über  Dialektik  und  Metaphy- 
sik handeln.  Was  die  Echtheit  der  Aristotelischen  Schriften 
angeht,  so  ist  Nizolius  der  Ansicht,  dass  nach  dem  Zeugnis 
vor  allem  des  Cicero,  Laertius  und  Suidas  feststehe,  dass 
die  Aristotelischen  Schriften  in  der  Form,  wie  sie  ihm  vor- 
lägen, keinesfalls  aristotelisch  oder  von  Aristoteles  abgefasst 
seien,  sondern  vielmehr  von  einem  anderen  aus  den  wahren 
Schriften  des  Aristoteles  ausgezogen  und  in  die  epitomae  und 
compendia,  die  augenblicklich  vorlägen,  gebracht  wären,  in 
dem  vieles  hinzugefügt,  weggelassen  und  nach  Belieben  ver- 
ändert worden  sei,  sodass  nicht  die  ,,vera,  germana",  sondern 
eine  ,,spuria  et  adulterina  doctrina"  des  Aristoteles  vorliege. 2) 
Als  Autor  der  falschen  Schriften,  die  unter  dem  Namen  des 
Aristoteles  gehen,  sieht  Nizolius  den  Nicomachus  an,  des 
Aristoteles  Sohn.  Ihm  müssten  zugeschrieben  werden  :  die 
zehn  Bände  der  Ethik,  die  acht  Bücher  Physik  (nach  Cicero) 
und  die  Bücher  „de  Prioribus  et  Posterioribus  Analyticis". 
Ganz  unbestimmt  sei  die  Ueberlieferung  der  metaphysischen 
Schriften.  Man  sei  nicht  über  die  Zahl  derselben  einig. 
Einige  kennen  nur  11,  andere  14,  wieder  andere  24.  Plinius 
nehme  50  Bücher  de  animalibus  an,  während  heute  nur  \i^ 
vorlägen  und  diese  verderbt.  Seine  Ansiclit  über  Aristoteles 
fasst  Nizolius  schliesslich  dahin  zusammen,  dass  er  ihn  ^)  für 
einen  grossen  und  ausgezeichneten  Mann  hält,  jedoch  nicht 
bezüglich  aller  Schriften,  sondern  nur  in  der  Rhetorik,  Ethik, 
Politik,  Oekonomik  und  den  Büchern  de  animalibus,  sowie 
in  vielen  der  res  naturales.     In     den    übrigen  Schriften,  vor 

1)  Q.  IV.  lf>7 

2)  N.  IV.  VI.  334  ff. 
■a)  N.  IV.   VII.  345. 


—  78  — 

allem  den  dialektischen,  und  metaphysischen  und  wo  immer 
er  handele  von  seinen  mehr  als  monströsen  genera,  species, 
secumlae  substantiae.  universalia  realia,abstractio, demonstratio 
u.  s.  w.,  verdiene  er  den  höchsten  Tadel.  In  summa  be- 
hauptet er  von  Aristoteles :  ubi  bene  dicit  nihil  melius,  ubi 
male  nihil  peius  posse  excogitari,^) 

Auch  diese  Ansicht  des  Nizolius  teilt  Leibniz  durchaus 
nicht.  Er  behauptet  im  Gegenteil,  dass  er  fest  überzeugt 
sei  von  der  genuitas  operum  Aristoteleorum,  was  auch  sagen 
mögen  Nizolius,  Picus,  Petrus,  Ramus  u.  a.  Die  Gründe, 
die  Nizolius  angibt,  sind  ihm  nicht  durchschlagend.  Cicero, 
auf  den  sich  Nizolius  in  erster  Linie  als  Gewährsmann  stütze, 
könne  nicht  als  solcher  gelten.  Denn  es  sei  nicht  verwunderlich, 
dass  ein  Mann  wie  Cicero  als  Politiker  und  Vielbeschäftigter 
(infinitis  curis  obrutus)  die  Gedanken  gerade  der  feinsinnig- 
sten Philosophen  (subtilissimi  cuiusdam  Philosophi)  flüchtig 
gelesen  und  daher  nicht  genügend  verstanden  habe.  ,, Cicero 
(hie)  duo  dicit,  primum  communem  esse  sententiam  quod  sint 
Aristotelis,  deinde  non  negat  esse  Aristotelis,  sed  saltem  con- 
icit,  posse  fortasse  esse  filii.  Haec  vero  a  possibili  coniectura 
communi  illorum  quoque  temporum  sententiae  nihil  praeju- 
dicare  debet".^) 

Ihm  (Leibniz)  selbst  ist  die  Echtheit  der  Aristotelischen 
Schriften  vollständig  verbürgt  durch  jene  „perfecta  hypothe- 
sium  inter  se  Harmonia  et  aequalis  ubique  methodus  velo- 
cissiraae  subtilitatis".  In  seinem  Briefe  an  Thomasius')  „De 
Aristotele  recentioribus  reconciliabili"  schreibt  Leibniz:  ,,Quae 
Aristoteles  de  materia,  forma,  privatione,  natura,  loco  infinito 
tempore,  motu,  ratiocinatur,  pleraque  certa  et  demonstrata 
sunt,  hoc  uno  fere  demto,  quae  de  impossibilitate  vacui  et 
motus  in  vacuo  asserit.  .  .  De  cetero  reliqua  pleraque  Ari- 
stotelis Disputata  nemo  fere  sanus  in  dubium  vocabit." 


1)  N.  1.  c.  346. 

2)  N.  IV.  VI.  Adnotatio. 

3)  Q.  IV.  164. 

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